Roman eines Schicksallosen (German Edition)
Abständen wegen meiner Großmutter aufmerksam: wie sie den anderen die ganze Zeit in die Quere kam, wie man sie dauernd zu ihrem Kanapee zurückführen musste und wegen ihrer vielen Klagen und ihrer nichts mehr sehenden Augen hinter den dicken, von Tränen beschlagenen Vergrößerungsgläsern – wie zwei seltsame, Schweiß absondernde Insekten. Irgendwann sind dann alle vom Tisch aufgestanden. Da begann das letzte Abschiednehmen. Meine Großmutter und mein Großvater sind allein, etwas früher als die Familie meiner Stiefmutter gegangen. Und vielleicht das merkwürdigste Erlebnis dieses ganzen Abends war für mich die einzige Regung, mit der mein Großvater sich bemerkbar gemacht hat: Er presste seinen scharfen kleinen Vogelkopf für einen einzigen Augenblick, aber auf eine ganz wilde, fast schon verrückte Art an die Jacke meines Vaters, an seine Brust. Sein ganzer Körper zuckte wie im Krampf. Dann ist er schnell hinausgeeilt, meine Großmutter am Ellbogen führend. Alle haben ihnen Platz gemacht. Dann haben einige auch mich umarmt, und ich habe auf meinem Gesicht die klebrige Spur ihrer Lippen gespürt. Dann war es mit einemmal endlich still, alle waren gegangen.
Und da habe auch ich von meinem Vater Abschied genommen. Oder eher er von mir. Ich weiß gar nicht recht. Ich erinnere mich auch nicht genau an die Umstände: mein Vater war wohl mit den Gästen hinausgegangen, denn eine Weile blieb ich allein am Tisch mit den Trümmern des Abendessens, und ich bin erst aufgeschreckt, als mein Vater zurückkam. Er war allein. Er wollte sich von mir verabschieden. Morgen früh ist dafür keine Zeit mehr – so hat er gesagt. Im Großen und Ganzen hat auch er über meine Verantwortung und mein Erwachsenwerden etwa das Gleiche aufgezählt, was ich am Nachmittag schon einmal von Onkel Lajos gehört hatte, bloß ohne Gott, nicht mit so schönen Worten und viel kürzer. Er hat auch meine Mutter erwähnt: Er war der Ansicht, sie könnte jetzt vielleicht versuchen, «mich von zu Hause wegzulocken». Wie ich sah, bereitete ihm dieser Gedanke ziemliche Sorgen. Die beiden hatten nämlich lange um den Besitz meiner Person gestritten, bis dann schließlich das Gerichtsurteil meinen Vater begünstigte: Und nun wollte er nicht, das fand ich auch verständlich, nur wegen seiner nachteiligen Lage sein Anrecht auf mich verlieren. Doch er hat sich nicht auf das Gesetz, sondern auf meine Einsicht berufen und auf den Unterschied zwischen meiner Stiefmutter, die für mich «ein warmes, familiäres Zuhause geschaffen hat», und meiner Mutter, die ihrerseits mich «verlassen» habe. Ich horchte auf, da ich von meiner Mutter über diesen Punkt anders unterrichtet worden war: Ihrer Meinung nach war mein Vater der Schuldige. Deshalb war sie auch gezwungen gewesen, einen anderen Mann zu finden, einen gewissen Onkel Dini (eigentlich: Dénes), der übrigens gerade letzte Woche abgereist ist, ebenfalls ins Arbeitslager. Genaueres aber hatte ich eigentlich nie erfahren, und auch jetzt kam mein Vater gleich wieder auf meine Stiefmutter zurück und erwähnte, dass ich es ihr verdanke, nicht mehr im Internat sein zu müssen, und dass mein Platz «hier zu Hause, an ihrer Seite» sei. Er sprach noch lange von ihr, und jetzt dämmerte mir schon, warum meine Stiefmutter nicht dabei war: Es wäre ihr bestimmt peinlich gewesen, das zu hören. Mich hingegen begann es einigermaßen zu ermüden. Und ich weiß gar nicht mehr, was ich meinem Vater alles versprochen habe, als er es dann von mir verlangt hat. Im nächsten Augenblick jedoch habe ich mich plötzlich in seinen Armen wiedergefunden, und es hat mich irgendwie unerwartet und unvorbereitet getroffen, von ihm so gedrückt zu werden nach diesen Worten. Ich weiß nicht, ob mir die Tränen deshalb gekommen sind oder einfach aus Erschöpfung oder vielleicht, weil ich mich seit dem ersten morgendlichen Hinweis durch meine Stiefmutter irgendwie darauf vorbereitet hatte, dass sie mir in diesem bestimmten Augenblick unbedingt kommen müssten: Aber warum auch immer, es ist ja recht, dass es so geschehen ist, und ich hatte das Gefühl, es hat meinem Vater auch gutgetan, das zu sehen. Dann hat er mich zu Bett geschickt. Ich war ja auch sehr müde. Aber wenigstens – so dachte ich – konnten wir den Armen mit der Erinnerung an einen schönen Tag ins Arbeitslager ziehen lassen.
2
Jetzt ist es schon zwei Monate her, dass wir von Vater Abschied genommen haben. Der Sommer ist da. Im Gymnasium sind jedoch schon lange
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