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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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In meinen Worten sehe er «viel Originalität» und alles in allem die Zeichen der Zeit, ihren – wenn ich es richtig verstanden habe – «traurigen Stempel», und das bedeute «in der ermüdenden Flut des Tatsachenmaterials einen neuen, persönlichen Ton» – so hat er es gesagt und mich gefragt, was ich dazu meinte. Ich bemerkte, zunächst müsste ich meine eigenen Angelegenheiten erledigen, was er offenbar missverstand, denn er sagte: «Nein. Das ist nicht mehr nur deine Angelegenheit. Sondern unsere, die der ganzen Welt», und ich sagte ihm, ja, schon, nur sei es jetzt an der Zeit, dass ich nach Hause ginge; daraufhin bat er mich um «Verzeihung». Wir sind aufgestanden, aber es schien, als zögere er noch, als habe er noch etwas auf dem Herzen. Ob wir die Artikel – fragte er – nicht mit einem Foto vom Augenblick des Wiedersehens beginnen könnten? Ich sagte nichts, und da hat er mit einem schiefen kleinen Lächeln die Bemerkung gemacht, der Journalist werde «von seinem Handwerk hin und wieder zu Taktlosigkeit gezwungen», aber wenn es mir nicht behage, so würde er seinerseits nicht «insistieren» wollen. Dann setzte er sich wieder hin, öffnete auf den Knien ein schwarzes Notizbuch und schrieb eilig etwas hinein, das Blatt riss er dann heraus und überreichte es mir, während er wieder aufstand. Das sei sein Name und die Adresse seiner Redaktion, und er verabschiede sich «in der Hoffnung auf ein baldiges Wiedersehen», wie er sagte, worauf ich den freundlichen Druck seiner warmen, fleischigen, etwas verschwitzten Hand spürte. Auch ich hatte das Gespräch mit ihm als angenehm, entspannend empfunden und ihn selbst als sympathisch und guten Willens. Ich wartete noch, bis seine Gestalt im Strudel der Fußgänger verschwand, erst dann warf ich den Zettel weg.
    Nach ein paar Schritten erkannte ich unser Haus. Es stand noch, unversehrt, völlig in Ordnung. Der vertraute Geruch des Tordurchgangs, der in seinem vergitterten Schacht ruhende wacklige Aufzug und die gelblich gewordenen, ausgetretenen Stufen bereiteten mir den Empfang, und weiter oben konnte ich auch den an einen bestimmten traulichen Augenblick erinnernden Treppenabsatz begrüßen. Auf unserem Stockwerk klingelte ich dann an unserer Tür. Sie öffnete sich auch bald, aber nur so weit, wie der innere Verschluss, irgend so ein Haken oder eine Sperrkette, es zuließ, und ich war etwas überrascht, da ich mich von früher nicht an eine solche Vorrichtung erinnerte. Aus dem Türspalt schaute mich das gelbe, knochige Gesicht einer fremden Frau etwa mittleren Alters an. Sie fragte, wen ich suche, und ich sagte zu ihr, ich wohnte hier. «Nein», sagte sie, «hier wohnen wir» und wollte die Tür schon wieder schließen, was ihr aber nicht gelang, da ich den Fuß dazwischengestellt hatte. Ich versuchte ihr zu erklären, das sei ein Irrtum, denn von hier sei ich weggegangen, und es sei ganz sicher, dass wir hier wohnten, sie hingegen versicherte mir, ich täuschte mich, weil ohne jeden Zweifel sie hier wohnten, und gleichzeitig schüttelte sie freundlich, höflich, aber bedauernd den Kopf und versuchte, die Tür zu schließen, während ich versuchte, sie aufzuhalten. In einem Augenblick, als ich zu der Nummer hochsah, ob ich mich nicht vielleicht doch in der Tür geirrt hätte, gab offenbar wohl mein Fuß nach, denn da hat sich ihr Bemühen als erfolgreich erwiesen, und ich hörte noch, wie sie in dem zufallenden Schloss den Schlüssel gleich zweimal umdrehte.
    Auf dem Weg zum Treppenhaus zurück stockte ich vor einer vertrauten Tür. Ich klingelte, und bald erschien eine dicke, stattliche Frau. Schon wollte sie – auf bereits bekannte Art – die Tür wieder zumachen; da blitzte hinter ihr eine Brille auf, und aus dem Halbdunkel schälte sich das graue Gesicht von Herrn Fleischmann heraus. Neben ihm tauchten ein umfangreicher Bauch, Pantoffeln, ein großer roter Kopf, ein kindlicher Scheitel und der ausgebrannte Stummel einer Zigarre auf: der alte Steiner, beide, wie ich sie zurückgelassen hatte, so als wäre es gestern gewesen, am Vorabend des Zollhaus-Tages. Sie standen da, schauten mich an, riefen meinen Namen, und der alte Steiner umarmte mich, so, wie ich war, samt Mütze, verschwitzt, in meiner gestreiften Jacke. Sie holten mich herein, ins Zimmer, und Frau Fleischmann ist in die Küche geeilt, um zu schauen, ob «ein Häppchen zu essen» da sei, wie sie sich ausdrückte. Ich musste die üblichen Fragen beantworten: woher, wie, wann, auf welche

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