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Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Roman eines Schicksallosen (German Edition)

Titel: Roman eines Schicksallosen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Imre Kertész
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vergessen.» Ich war noch mehr überrascht und habe gefragt: «Wieso?» – «Damit du», antwortete er, «leben kannst», und Herr Fleischmann nickte und fügte hinzu: «Frei leben», worauf der andere Alte nickte und hinzufügte: «Mit einer solchen Last kann man kein neues Leben beginnen», und da hatte er bis zu einem gewissen Grad recht, das musste ich zugeben. Nur verstand ich nicht ganz, wie sie etwas verlangen konnten, was unmöglich ist, und ich habe dann auch bemerkt, was geschehen sei, sei geschehen, und ich könne ja meinem Erinnerungsvermögen nichts befehlen. Ein neues Leben – meinte ich – könnte ich nur beginnen, wenn ich neu geboren würde oder wenn irgendein Leiden, eine Krankheit oder so etwas meinen Geist befiele, was sie mir ja hoffentlich nicht wünschten. «Und überhaupt», fügte ich hinzu, «habe ich von Gräueln nichts bemerkt», und da sah ich, dass sie ziemlich verblüfft waren. Was das heißen solle, wollten sie wissen, ich hätte «nichts bemerkt»? Da habe ich sie nun aber gefragt, was sie denn wohl in diesen «schweren Zeiten» gemacht hätten. «Na ja … wir haben gelebt», sagte der eine nachdenklich. «Wir haben zu überleben versucht», fügte der andere hinzu. Also hatten auch sie einen Schritt nach dem anderen gemacht – wie ich bemerkte. Was für Schritte, wollten sie wissen, und da habe ich auch ihnen erzählt, wie das zum Beispiel in Auschwitz zugegangen war. Pro Eisenbahnzug – ich will nicht behaupten, dass es unbedingt jedes Mal so war, denn das kann ich nicht wissen –, zumindest in unserem Fall aber ist mit ungefähr dreitausend Personen zu rechnen. Nehmen wir davon etwa tausend Männer an. Rechnen wir für die Untersuchung ein, zwei Sekunden, eher eine als zwei. Den ersten und den letzten lassen wir weg, die zählen ja nie. In der Mitte jedoch, wo auch ich stand, muss man also mit einer Wartezeit von zehn bis zwanzig Minuten rechnen, bis man zu dem Punkt gelangt, wo sich entscheidet: gleich das Gas oder noch einmal davongekommen. In der Zwischenzeit aber bewegt sich die Reihe ständig fort, geht immer weiter voran, und ein jeder macht immer einen Schritt, einen kleineren oder einen größeren, je nach Betriebsgeschwindigkeit.
    Daraufhin ist eine Stille entstanden, die bloß von einem Geräusch unterbrochen wurde: Frau Fleischmann nahm mir den leeren Teller weg und trug ihn hinaus, und ich sah sie nicht mehr zurückkommen. Die zwei Alten aber fragten, was das mit der Sache zu tun habe und was ich damit sagen wolle. Ich sagte, nichts Besonderes, nur war es nicht einfach so, dass die Dinge «kamen», wir sind auch gegangen. Nur jetzt wirkt alles so fertig, so abgeschlossen, unveränderlich, endgültig, so ungeheuer schnell und so fürchterlich verschwommen, so, als sei es «gekommen»: nur jetzt, wenn wir es im Nachhinein, von hinten her sehen. Und, freilich, auch wenn wir das Schicksal schon im voraus kennen. Dann bleibt uns, in der Tat, nur noch die einleuchtende Erkenntnis, wie die Zeit vergeht. Dann ist zum Beispiel ein dummer Kuss vom gleichen Grad der Notwendigkeit wie, sagen wir, ein Tag des Stillhaltens im Zollhaus oder wie die Gaskammern. Bloß, ob wir von hinten oder von vorn schauen, beides sind falsche Betrachtungsweisen – war meine Meinung. Schließlich sind mitunter auch zwanzig Minuten, für sich genommen, eine lange Zeit. Jede Minute hat begonnen, hat gedauert und ist zu Ende gegangen, bevor die nächste begann. Nun aber – sagte ich – ziehen wir doch einmal in Betracht: Jede dieser Minuten hätte eigentlich auch etwas Neues bringen können. In Wirklichkeit hat sie nichts gebracht, natürlich – aber dennoch muss man zugeben: Sie hätte etwas bringen können, schließlich hätte während einer jeden etwas anderes geschehen können als das, was zufällig geschah, in Auschwitz ebenso wie etwa, nehmen wir einmal an, hier zu Hause, als wir Vater verabschiedet haben.
    Auf diesen letzten Satz hin ist der alte Steiner irgendwie in Bewegung geraten. «Aber was hätten wir denn tun können?!», fragte er mit einer halb zornigen, halb klagenden Miene. Ich sagte: nichts, natürlich; oder – so fügte ich hinzu – irgendetwas, was genauso unvernünftig gewesen wäre, wie dass wir nichts getan haben, natürlich, wie immer natürlich. «Aber es geht ja gar nicht darum», versuchte ich weiter, es ihnen zu erklären. «Also worum denn eigentlich?», fragten sie, nun schon etwas die Geduld verlierend, und ich erwiderte, wobei ich fühlte, wie ich selbst

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