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Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition)

Titel: Roman meines Lebens: Ein Europäer vom Bosporus (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Zülfü Livaneli
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die freiwillig in den Tod gingen, war bei manchen gelb, bei anderen schon ganz dunkel. Man hörte sie immer wieder röcheln. Ich versuchte mir vorzustellen, was es bedeutete, 70 Tage lang dem Tod entgegenzuhungern. 70 Tage, das sagt sich so schnell, aber es sind so viele Sekunden und Minuten, so viele Tage und Nächte …
    In der Frauenabteilung empfingen uns manche mit einem höflichen Lächeln, andere waren an der Schwelle zum Tod.
    »Schau«, wurde zu einer gesagt, »Yaşar Kemal und Zülfü Livaneli sind gekommen. Nick mit dem Kopf, wenn du uns verstehst!«
    Als Reaktion darauf kam nur ein Röcheln und ein Zucken mit dem Arm, und wir wussten nicht, was das zu bedeuten hatte.
    Nachdem wir diese kaum erträglichen Szenen gesehen hatten, war es unser einziges Ziel, angesichts der zerrütteten Situation zu retten, was zu retten war, und den im Sterben Liegenden zu helfen.
    Dass wir das Gefängnis überhaupt so ungehindert besuchen durften und am Abend ein Treffen mit Regierungsvertretern und Abgesandten linker Organisationen zustande kam, war dem unermüdlichen Wirken des Istanbuler Generalstaatsanwalts Ferzan Çitici zu verdanken.
    Wir verhandelten unermüdlich und hatten dabei stets das Schicksal der Menschen vor uns, die wir in so erbärmlichem Zustand gesehen hatten. Nach Stunden sah es dennoch so aus, als würden wir überhaupt nicht vorwärtskommen. Immer wieder ging ich mit den Vertretern der Häftlinge allein zu Unterredungen in den Hof hinunter, und Yaşar Kemal versuchte, seine ganze väterliche Autorität in die Waagschale zu werfen.
    Es waren bereits zwölf Menschen an den Folgen ihres Hungerstreiks gestorben, und den Überlebenden kam es vor allem darauf an, dass der Tod ihrer Kameraden nicht umsonst gewesen sein sollte. Auf bestimmte Punkte ließen sie sich daher keinesfalls ein. Eine ihrer Forderungen war die Verlegung inhaftierter Gesinnungsgenossen von Eskişehir nach Istanbul. Darüber führten wir einige Telefonate mit dem Justizminister, und schließlich konnten wir ihn tatsächlich dazu bewegen, der Verlegung zuzustimmen. Nach diesem Erfolg ging es hauptsächlich um die Forderung nach menschenwürdigen Haftbedingungen, wie sie jedermann einleuchten musste, etwa dass Mütter und Schwestern der Häftlinge bei ihren Besuchen nicht vor dem Gefängnistor geschlagen oder in Untersuchungshaft genommen wurden.
    Als das Gelingen der Verhandlungen feststand, umarmten wir uns vor Freude. Mit den schon bereitstehenden Krankenwagen wurden nach Mitternacht die am schlimmsten betroffenen Häftlinge in Intensivstationen gebracht. Um das Schicksal ihrer Kinder besorgte Eltern beklatschten weinend den glücklichen Ausgang der Verhandlungen.
    In der türkischen Presse fand die Angelegenheit ein breites Echo. Dafür, dass eine spannungsreiche Situation entschärft worden war, wurden der Generalstaatsanwalt sowie ein Abgeordneter der Regierungspartei vom Justizminister ausgezeichnet, während für die gleichen Bemühungen Yaşar Kemal sowie ein Anwalt der Häftlinge von der Gesellschaft für Menschenrechte ausgezeichnet wurden. Mir dagegen winkte als einzige Belohnung, dass ich wegen angeblicher Bedrohung durch irgendwelche Organisationen unter Polizeischutz gestellt wurde.
    Im Jahr 2000 kam es im selben Gefängnis wieder zu einem Hungerstreik, und wir saßen bei den Verhandlungen mit denselben Leuten wie damals zusammen. Obwohl Thilda todkrank darniederlag, war auch Yaşar Kemal wieder dabei und versuchte, Leben zu retten. Diesmal aber verliefen die Gespräche nicht so, wie wir uns das wünschten. Den islamistischen Ministerpräsidenten Necmettin Erbakan hatten wir 1996 überzeugen können, bei dem Sozialdemokraten Bülent Ecevit gelang uns das nicht. Unter dem euphemistischen Motto »Rückkehr zum Leben« wurde die Gefängnisanstalt schließlich gestürmt, wobei 30 Gefangene ums Leben kamen.
    Bereits 1995 war ich im Istanbuler Stadtteil Gazi in einen seltsamen Vorfall verwickelt worden. In den Abendnachrichten hatte ich eines Tages gehört, in dem vor allem von Aleviten bewohnten Gazi sei auf ein Kaffeehaus geschossen und dabei ein alter Mann getötet worden. Ich schrieb damals manchmal Artikel in der Zeitung Milliyet und machte mich am folgenden Tag zu dem Kaffeehaus auf, um mir an Ort und Stelle ein Bild zu machen.
    In dem Viertel sah die Lage allerdings ganz anders aus als erwartet. Es waren inzwischen bei Auseinandersetzungen schon mehrere Menschen umgekommen. Mit umgestürzten Autos und Holzteilen waren

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