Roman
Schafkopfspielen, beim Joggen im Englischen Garten oder in der Sport- und Computerabteilung.“
Vielleicht hat sie ja recht, überlegte Kristina. Vielleicht verpasse ich bei meiner Warterei auf den Richtigen viele gute Gelegenheiten. Vielleicht bin ich überheblich, stelle zu hohe Ansprüche und benehme mich wie eine Zicke … Andererseits kam Kristina das, was sich ihr aktuell so anbot, eben tödlich langweilig vor.
Klar, da gab es ihren Nachbarn Hugo Drechsel, der nur ein paar Häuser weiter wohnte und der ein Auge auf sie geworfen hatte. Aber er war nun einmal überhaupt nicht ihr Typ: Der Kerl war schmächtig, kahlköpfig, reichte ihr gerade so bis zum Kinn und hatte noch dazu eine feuchte Aussprache. Oder Stefan Wagner, ebenfalls ein Patient, der unbedingt mit ihr ausgehen wollte. Allerdings kannte Kristina seinen Körper leider viel zu gut, und sie stand nicht auf männliche Brüste, die locker ein C-Körbchen füllen konnten, plus Bierbauch als Lendenschurz.
Aussehen ist nicht alles – die inneren Werte sind viel wichtiger, redete sie sich ein. Doch wo fing dieses ominöse Innere an? Und ganz ohne eine ansprechende Optik ging es ja auch nicht. Sie konnte sich schließlich nicht mit irgendeinem Mann treffen, nur um nicht länger allein zu sein. Nein, so groß war der Notstand nun wieder nicht. Sie würde sich auf keinen Fall dem Erstbesten an den Hals werfen oder sich ihm hoppla-hopp hingeben. Um sie sollte der Mann schon kämpfen.
Und einer kämpfte gerade mit großem Einsatz um ihre Gunst: Johannes Dermand, ein weiterer Patient von ihr. Seit Monaten wollte er sie dazu überreden, mit ihm auszugehen – oder besser noch, gleich mit ihm zu verreisen. Mit einem „No sex in the office“ hatte Kristina lachend seine durchaus charmanten Offerten abgelehnt. Das war natürlich glatt gelogen gewesen. Aber hätte sie ihm die Wahrheit sagen sollen? Dieser Verehrer hätte ihr Vater sein können! Er war zwar noch recht rüstig, aber aus der Kartei wusste sie, dass er demnächst 75 werden würde. Und sie sah sich nun mal nicht in der zukünftigen Rolle der Pflegerin.
Warum zum Teufel interessieren sich eigentlich nur Männer um die 70 für mich und keine in meinem Alter?, rätselte Kristina. Sie verstand es nicht – und noch weniger das Selbstbewusstsein, das die alten Knaben an den Tag legten. Scheinbar passte die Frau Mitte 40 genau ins Beuteschema dieser vitalen Rentner. Die Welt ist ungerecht, dachte sie und hängte das Handtuch zurück. Sie knipste das Licht aus, verließ das Badezimmer und ging direkt zu Rita, die wieder an ihrem Schreibtisch saß und mit ihren perfekt manikürten und lackierten falschen Fingernägeln laut klackend die Tastatur des Computers bearbeitete.
Neidisch betrachtete Kristina diese Nägel. Für sie kam so etwas nicht in Frage. Rita konnte diese Waffen einsetzen, um ihre Tastatur zu malträtieren und mit ihren Liebhabern herumzuspielen. Aber zum Massieren waren diese Nägel komplett unbrauchbar. Kristina seufzte. An Rita war alles perfekt. Sie war geschminkt und frisiert wie für einen Fototermin, und auch ihr Outfit war wie immer makellos durchgestylt.
„Alles okay?“ Rita schaute kurz auf und musterte sie. „Deine Selbstgespräche nehmen bedenkliche Formen an. Passiert dir das auch auf der Straße?“
„Ja, wenn ich an der Ampel stehe. Die kann wenigstens zuhören.“ Sie grinste ihre Freundin schief an. „Ist Claussen weg?“
Rita nickte und wedelte mit einem Stück Papier vor ihrer Nase herum. „Das hat er für dich dagelassen.“
„Wieder ein Gutschein für einen Fallschirmsprung?“, fragte Kristina und verzog das Gesicht. „Wie deppert muss ich sein, um so was freiwillig zu tun?“ Sie ließ sich auf die Kante von Ritas Schreibtisch sinken. „Verdammt heiß heute.“
„Eine Klimaanlage wäre jetzt genau das Richtige. Und die sind gar nicht so teuer.“ Rita unterbrach ihre Arbeit am Computer und fischte ein paar bedruckte Blätter aus der Ablage. „Hier, ich habe mal recherchiert, was so ein Einbau kosten würde.“
Kristina nahm die Zettel, warf einen flüchtigen Blick darauf und legte sie zurück auf den Tisch. „Schau ich mir heute Abend an.“ Wie alles in ihrem Leben war auch so etwas Profanes wie eine Klimaanlage keine spontane Entscheidung. So etwas musste wohlüberlegt sein.
„Aber vergiss es nicht“, mahnte Rita sie. „Und jetzt hast du das Vergnügen mit Frau von Dannewald.“ Bei diesen Worten rollte sie dramatisch die Augen und fügte hinzu:
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