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Roman

Roman

Titel: Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nadja Nollau
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dann teilte und sie weiter darüber stritten, welche Hälfte die größere sei – da wünschte ich mir den Augenblick herbei, wenn endlich alle fort waren, damit ich in Ruhe Zeitung lesen konnte.
    Jetzt aber waren sie alle fort, und ich konnte es nicht ertragen, die Zeitung in einer Küche zu lesen, in der nicht vier schmutzige Teller und Tassen darauf warteten, abgespült zu werden. Die Küche kam mir vor wie ein Drehort, den das Team längst verlassen hatte. Eine neue Szene hatte begonnen, mit neuen Mitspielern und mit einer neuen Geschichte. Nur ich gehörte nicht mehr dazu.
    Kinobesuche, Abende in der Stammkneipe, der wöchentliche Besuch im Schwimmbad – das waren nur ein paar von vielen Gepflogenheiten, die ich aufgegeben hatte, weil ich die Erinnerungen, die damit verknüpft waren, nicht ertrug.
    Während also Martha, die Frau meines Lebens, nun im Bett eines anderen lag – Gepflogenheiten hin oder her –, machte ich mich auf, um im Café sechs oder sieben Euro für ein Frühstück zu bezahlen, von dem ich nicht satt wurde. Dabei war ich froh, dass ich überhaupt wieder etwas essen konnte. Denn nachdem das Unglück passiert war, hatte ich schlagartig zehn Kilo abgenommen, hatte mich nur noch von Semmeln, Wein, Zigaretten und Psychopharmaka ernährt.
    Vor allem aber zog es mich jeden Morgen ins Café, weil das Frühstück dort zu den wenigen Fixpunkten in meinem haltlosen Leben gehörte. Das Café lag im Uni-Viertel, nicht weit entfernt von meiner Wohnung. Es war bevölkert von jungen Menschen, denen die Sonnenbrille offenbar im Gesicht festgewachsen war; die nie nur Kaffee tranken, sondern ausschließlich Heißgetränke mit italienischen Namen; die nicht halbgare Schnitzel in der Mensa zu sich nahmen, sondern geräucherten Lachs an Salat mit Austernpilzen; die offenbar schon unverrückbar fest im Leben standen, obgleich sie gerade erst dabei waren, Hauptseminarscheine zu sammeln.
    Ich störte mich aber nicht weiter daran. Im Gegenteil, ich fand Gefallen am schönen Schein und dachte mit Unwillen an die Garderobe mancher Mädchen aus meiner Studienzeit – alternative Geschöpfe, die danach trachteten, jegliche Spur von Weiblichkeit unter ausgeleierten, verblichenen Jeans oder unförmigen Kleidern zu verstecken. Für die war es schon Verrat an der althergebrachten 68er-Wahrheit, wenn eine sich die Achselhaare rasierte, gar nicht zu reden von den Schamhaaren – die zu rasieren wäre mit standrechtlicher Erschießung geahndet worden.
    Doch wir Jungs waren ja nicht viel besser gewesen. Schon wer mehr als eine Jeans, drei Feinrippunterhosen, ein paar alte Hemden und einen Bundeswehr-Parka besaß, machte sich als Kollaborateur verdächtig. Und wenn ich auch so mancher mütterlichen Wirtin aus früheren Zeiten nachtrauerte, etwa jener Erika, die drei Zentner wog und als Abendessen vier Asbach-Cola zu sich nahm, so fand ich es nun doch angenehmer, von hübschen jungen Frauen bedient zu werden. Schließlich waren das die einzigen weiblichen Wesen, mit denen ich eine unkomplizierte Beziehung führte: Einen Kaffe und eine Butterbretze, bitte. – Ja, gern. – Und bitte vier Tütchen Zucker, zwei sind mir zu wenig. – Geht in Ordnung.
    In diesem streng formalisierten Dialog blieb kein Raum für jene Missverständnisse, welche die Beziehung zwischen den Geschlechtern vergiften. Es blieb jedoch auch kein Raum für ein tieferes Verständnis zwischen Mann und Frau. Da ich an ein solches aber immer noch glaubte, nahm ich mir gelegentlich vor, doch einmal einen weitergehenden Kontakt herzustellen. Denn die Therapeutin hatte recht: Ich konnte Martha nicht mehr betrügen, ich konnte tun und lassen, was ich wollte, ich konnte Affären und Liebschaften anfangen, wie es mir beliebte.
    Freilich, das hatte ich ja schon versucht. Der letzte Annäherungsversuch hatte in einer Kneipe begonnen, nach dem vierten Bier.
    Sie war Studentin, mindestens 20 Jahre jünger als ich, und blieb allein an der Theke sitzen, nachdem ihre Freundinnen gegangen waren. Ich sprach sie an, erzählte ihr – beflügelt vom Alkohol und von ihren braunen, warmen Augen – etwas von Rilke, Trakl und Gottfried Benn, erklärte ihr, wie sehr ich die moderne Lyrik liebte, die Germanistik dagegen hasste, denn die sei die Totengräberin jeglichen unmittelbaren Empfindens, sie forsche nur und taste mit grauen, knöchernen Fingern in jenen erhabenen, schmerzvollen Bildern herum, die die Dichter dem Leben abgerungen hätten, um sie uns zu schenken. Fände ich nun

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