Roman
Worte, um das tiefe Gefühl auszudrücken, welches braune, warme Augen in mir auslösten – deine unvergleichlich schönen Augen, die tiefer sind als jedes Meer, das die Nautilus je durchforschte –, fände ich also nun diese Worte, so fuhr ich fort, dann sei die Vorstellung unerträglich, es könnte eines Tages ein Germanist sich darüber hermachen, gleich einem Arzt bei der Autopsie, der zwar den Körper zergliedere, die Seele der Dinge aber nie finden könne.
„Ich brauch jetzt ’nen Wodka“, sagte die Studentin.
Ich gab Bier und Wodka aus und monologisierte weiter. Bald schwenkte ich zu meinem Hauptthema um: Martha.
Die Studentin hörte aufmerksam zu.
Wir waren die letzten Gäste, und während der Wirt aufräumte – er hieß Otto und war mindestens zehn Jahre jünger als ich –, ging ich zur Toilette. Dort erleichterte ich mich und zog für alle Fälle Kondome aus dem Automaten. Denn auch wenn die Studentin dabei war, sich in mich zu verlieben, auch wenn dies der Anfang einer verrückten, großen Liebe war, so wollte ich doch Vorsorge treffen. Schließlich hatte ich schon ein Kind und konnte, zumindest vorerst, kein zweites brauchen.
Als ich zurückkam, küsste die Studentin mich leicht auf die Wange. „Bist echt ’ne arme Sau. Geh mal heim und schlaf dich aus. Wir haben noch was vor, Otto und ich.“
Die Kondome schenkte ich auf meinem einsamen Heimweg einem Penner, der mich anschnorrte.
Er warf sie weg. „Zum Wichsen brauch ich keine Pariser.“
Wenn man allein ist, verletzt, depressiv und Gewohnheitstrinker, sollte man sich davor hüten, von Einzelfällen auf ein allgemeines Muster zu schließen. Denn es ergibt sich dann leicht eine Vermeidungshaltung, die einen daran hindert, überhaupt noch jemanden kennenzulernen. So hatte meine Therapeutin die Episode mit der Studentin damals kommentiert. Sie hatte mir geraten, lieber auf das Trinken zu verzichten als auf weitere Versuche, eine Frau kennenzulernen.
Im Café bediente mich dieses Mal die junge Frau, die ich besonders hübsch fand. Ich fragte mich, ob ich mir ihr Lächeln mit dem üppigen Trinkgeld erkauft hatte, das ich üblicherweise gab, oder ob sie es vielleicht doch mir als möglichem Liebhaber schenkte. Um das herauszufinden, winkte ich ihr noch einmal und bat um eine weitere Portion Zucker. Sie lächelte wieder.
Kurz nachdem Martha mich verlassen hatte, fing ich an, Bücher über Beziehungen zu lesen, zunächst in dem Glauben, darin stünde irgendein Trick, wie ich Martha wiedergewinnen könnte. Bald stellte ich aber fest, dass ich nichts andres tat, als den Fahrplan zu studieren, nachdem die gemeinsame Reise zu Ende war.
Doch warum sollte es nicht möglich sein, statt der Vergangenheit nachzuhängen, nun geläutert eine neue Reise zu beginnen, zum Beispiel mit der hübschen Bedienung? In diesen Büchern war immer wieder die Rede davon, wie wichtig die positiven Phantasien seien, die man sich zu Beginn einer Beziehung vom Partner macht. Nur, welche positiven Phantasien, einmal abgesehen von der Form ihrer Brüste, die sich unter der Bluse abzeichneten, und dem Farbton ihrer Höfe, konnte ich mir machen von einer Frau, die nichts anderes tat, als mir Butterbrezen zu servieren und zu lächeln?
Ich dachte mir eine Geschichte aus, ihre Geschichte, gab ihr eine Biographie, einen Musikgeschmack, literarische Vorlieben und dergleichen mehr. Würde sie dem standhalten können? Und war sie nicht viel zu jung für mich? Vermutlich würde sie sich nicht über eine kaputte Beziehung unterhalten wollen, vor allem nicht mit einem depressiven älteren Mann, der schlicht davon besessen war, jedem und jeder zu erzählen, wie viel Leid ihm, einem alleinerziehenden Vater und guten Kerl, von einer Frau zugefügt worden sei. Und das war nun einmal mein Hauptthema, es steckte in mir wie ein Virus; wie unter Zwang führten alle Gespräche zu diesem Thema.
Einmal, an einem einsamen Sonntagmorgen, hatte ich sogar mit der Frau, die mir vor der Bäckerei die Bild am Sonntag verkaufen wollte, über Martha gesprochen.
Mein anderes großes Thema war Sex. Doch darüber sprach ich nie, denn Menschen, die keinen Sex haben, erfüllen in unserer Welt die Rolle, die früher einmal die Leprakranken hatten: Sie sind Ausgestoßene. Mit meiner Therapeutin diskutierte ich immer wieder darüber, und sie versuchte ständig, mich eines Besseren zu belehren:
„Denken Sie bei jeder Frau, der Sie begegnen, an Sex?“
„Äh … ja!“
„Das ist falsch! Schließen Sie
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