Romana Exklusiv 0197
sollte ich gar nicht zugeben, dass es hier manchmal heftig regnet.“
Lysan lachte auch. Natürlich konnte eine so üppige Vegetation nur entstehen, wenn es nicht zu trocken war. In Chile fing jetzt der Sommer an, wahrscheinlich war die Regenzeit schon vorbei.
Unterwegs erfuhr Lysan, dass Gabina die einzige Tochter eines Professors war. Ihre Mutter war Ärztin, und Gabina hatte in Frankreich kochen gelernt. Sie war seit einem Jahr mit Celso verheiratet. Lysan erzählte von ihren Eltern, ihrem Bruder und ihrem Job und erwähnte auch Noel. Plötzlich erschien es ihr unpassend, den Verlobungsring zu tragen, und es bereitete ihr Unbehagen.
„Emilia hat jetzt bestimmt das Mittagessen fertig“, meinte Gabina, als sie ins Haus zurückgingen.
Kurz darauf stand Lysan vor dem Schrank in ihrem Zimmer und überlegte, ob Enrico und Celso wohl zum Lunch kommen würden. Schließlich entschloss sie sich, auf der Fahrt mit Enrico eines ihrer eleganten Seidenkleider zu tragen, und zog es heraus. Doch unvermittelt hielt sie inne. Was dachte sie sich eigentlich dabei? Enrico war am Morgen völlig zwanglos gekleidet gewesen und wollte auch am Nachmittag noch arbeiten. Wahrscheinlich würde sie im Wagen sitzen bleiben und gar nicht aussteigen. Sie konnte sich gut vorstellen, wie er spöttisch die Augenbrauen hochziehen würde, wenn sie so elegant auftauchen würde, als wollte sie auf eine Party gehen. Deshalb entschied sie sich schließlich für eine grüne Baumwollhose und ein farblich darauf abgestimmtes T-Shirt.
Dann gesellte sie sich wieder zu Gabina, die allein im Esszimmer saß.
„Kommt Celso zum Lunch nach Hause?“, erkundigte Lysan sich.
Gabina lächelte und antwortete: „Ja, manchmal. Aber wenn er viel zu tun hat, vergisst er sogar das Essen.“
Daraus schloss Lysan, dass auch Enrico an nichts anderes mehr dachte, wenn er sehr beschäftigt war. Sekundenlang befürchtete sie sogar, er würde sich vielleicht nicht mehr daran erinnern, dass er sie eingeladen hatte, ihn am Nachmittag zu begleiten. Rasch verdrängte sie den Gedanken wieder. Was soll der Unsinn?, überlegte sie. Es war ihr doch sowieso egal, ob er sie abholte oder nicht. Um sich selbst zu beweisen, wie gleichgültig er ihr war, fragte sie Gabina: „Kommen Sie heute Nachmittag mit? Enrico will mit mir …“
„Ja, ich weiß“, unterbrach Gabina sie. „Eigentlich möchte ich nicht mitkommen, aber wenn es Ihnen lieber ist …“
„Nein, es ist okay.“ Lysan lächelte. Plötzlich wurde ihr bewusst, dass Gabina wahrscheinlich genug andere Arbeiten zu erledigen hatte und nur aus Höflichkeit den ganzen Vormittag mit ihr umhergewandert war.
Nach dem Lunch ging Lysan wieder auf ihr Zimmer, um sich das Haar zu bürsten und die Lippen nachzuziehen. Auf einmal überlegte sie besorgt und beunruhigt, ob sie Enrico nicht zu viele Unannehmlichkeiten bereitete. Er war erst am Vortag von ihrem Vater per Fax über ihre Ankunft unterrichtet worden und deshalb nicht auf ihren Besuch vorbereitet gewesen. Er hatte bestimmt wichtigere Dinge zu tun, als sich um sie zu kümmern. Andererseits war es seine Idee gewesen, sie in sein Haus einzuladen.
Nachdenklich ging Lysan die Treppe hinunter, um im Wohnzimmer auf ihn zu warten. Dort stellte sie sich ans Fenster und genoss die schöne Aussicht.
„Sind Sie fertig, Lysan?“, riss Enricos Stimme sie auf einmal aus den Gedanken.
Lysan hatte ihn nicht kommen hören und wirbelte herum. „Enrico, ich …“
„Was ist los?“ Er durchquerte den Raum und blieb dicht vor ihr stehen. „Sie schauen mich so ernst an mit Ihren schönen grünen Augen.“ Seine Stimme klang sanft.
Lysan verspürte ein Kribbeln im Bauch. „Ich hoffe, Sie fühlen sich nicht verpflichtet, mir Ihr Land zeigen zu müssen.“
„Sind Sie immer so direkt?“, fragte er scherzhaft, ohne weiter auf ihre Bemerkung einzugehen.
„Meistens“, erwiderte sie und war keineswegs beruhigt. „Es wäre mir sehr unangenehm, wenn Sie durch meinen Besuch in Zeitdruck geraten würden. Bringe ich Ihre Terminplanung durcheinander?“
„Überhaupt nicht“, versicherte er.
Sie war jedoch immer noch nicht überzeugt. „Ich kann unmöglich bei Ihnen bleiben“, erklärte sie.
Sogleich wurde seine Miene ernst. Offenbar gefiel ihm ihre Ankündigung nicht. „Sie können nicht im Hotel wohnen!“, entgegnete er scharf, beinah grob.
Ach, wirklich nicht?, dachte Lysan und hätte ihm liebsten an den Kopf geworfen, dass sie seine Meinung nicht teile. Aber um die
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