Romana Exklusiv 0224
verwitterten Holzsteg festgemacht waren. Zwei ältere Männer reparierten in der sengenden Sonne ihre Netze, und sie war froh, dass sie im Schatten saß.
Seit vierzehn Tagen war sie nun unterwegs und hatte es bislang geschafft, nicht von den Detektiven aufgespürt zu werden, die ihr Dad bestimmt engagiert hatte. Als sie eben am frühen Nachmittag aus dem Bus gestiegen war, hatte sie sich gleich in dieses malerisch am Mittelmeer gelegene Dorf verliebt und sich sicher gefühlt. Es hatte weder den Glanz von Madrid noch den Glamour von Mallorca und war zweifellos nicht der Ort, an dem ihr Vater sein einziges Kind vermuten würde.
Der Strand entlang der kleinen Bucht war fast menschenleer, und hinter den weißen Häusern in ihrem Rücken erhob sich eine Bergkette, die das Dorf von der restlichen Welt abzuschirmen schien. Sie war auf der linken Seite mit Olivenhainen bewachsen und auf der rechten mit Bäumen, Sträuchern und wilden Blumen naturbelassen. Und über allem thronte eine alte graue Burg, die sich in Privatbesitz befinden musste, denn Rachel hatte nirgendwo ein Schild gesehen, das auf einen Parador hinwies. Schade, sie hätte gern eine Nacht in einem solchen Luxushotel verbracht!
Aber momentan sollte sie sich lieber Gedanken um ihre finanzielle Situation machen. Sie musste dringend einen Job finden, was ohne eine Arbeitserlaubnis nicht einfach sein dürfte. Vielleicht konnte sie irgendwo als Bedienung unterkommen oder … Ja, als was?
Sie war noch nie in einer bezahlten Stellung gewesen, hatte nur Erfahrungen darin gesammelt, große Wohltätigkeitsveranstaltungen zu organisieren und als Gastgeberin bei wichtigen Geschäftsessen ihres Dads zu fungieren. Seit ihrem Collegeabschluss vor einigen Jahren hatte sie mehrfach versucht, ins Berufsleben einzusteigen, doch ihr Vater hatte es ihr immer wieder ausgeredet. Er bräuchte sie so sehr, hatte er behauptet, denn niemand könnte den gesellschaftlichen und repräsentativen Aufgaben, die seine unternehmerische Tätigkeit mit sich brachte, besser gerecht werden als sie. Hätte ihre Mutter noch gelebt, hätte diese ihm zur Seite gestanden.
Rachel wurde erneut wütend. Wie sehr hatte ihr Dad sie belogen! Vor zwei Wochen hatte sie erfahren, dass ihre Mutter überhaupt nicht tot war. Sie verstärkte den Griff um ihr Glas und wünschte, sie hätte jenem Mann, der bis dahin über ihr Leben bestimmt hatte, noch viel mehr gesagt. Er hatte sogar von ihr erwartet, dass sie zum Wohl seines Unternehmens Paul Cambrick heiratete, und sich durch kein Argument davon abbringen lassen. Schließlich war der Druck für sie unerträglich geworden.
Von zu Hause zu verschwinden war vermutlich nicht ihre klügste Handlung gewesen, doch es würde ihren Dad beeindrucken, dessen war sie sich sicher. Nun musste sie dringend einen Job finden, um zu beweisen, dass sie weder ihn noch Paul brauchte, sondern auf eigenen Beinen stehen konnte. Sie würde Paul, diesen überheblichen Kerl, niemals heiraten. Und die Drohungen ihres Vaters, ihr die finanziellen Mittel zu streichen, würden wirkungslos werden, sobald sie sich den Lebensunterhalt selbst verdiente.
Rachel ließ den Blick über das glitzernde Wasser schweifen. Sie erinnerte sich noch gut daran, wie bestechend sie zu Hause in Malibu den Gedanken gefunden hatte, endlich frei und unabhängig zu sein. Allerdings wäre es wohl besser gewesen, in den Staaten zu bleiben, denn dort hätte sie problemlos arbeiten können. Nach Spanien zu fliegen war ein spontaner Entschluss gewesen. Sie hatte schon lange davon geträumt, dieses Land kennenzulernen, und war auch bestrebt gewesen, so viele Kilometer wie möglich zwischen ihren Dad und sich zu legen.
„Darf ich Ihnen noch etwas bringen?“ Der junge Kellner war an ihren Tisch getreten.
„Nein, danke“, erwiderte Rachel auf Spanisch. Sie beherrschte die Sprache einigermaßen und verstand die Leute, wenn diese langsam genug redeten.
„Americano?“
„Si.“ Ihr blondes Haar sowie der Akzent verrieten, dass sie Ausländerin war. Aber warum hielt der Mann sie für eine Amerikanerin? Sie konnte ebenso Deutsche oder Holländerin sein.
„Sind Sie hier wegen des Jobs bei Señor Alvares? Wir haben uns schon gefragt, wann eine neue Sekretärin kommt. Wenn es nicht bald passiert, ist Maria wieder gesund.“
Hatte sie ihn richtig verstanden, dass hier jemand eine englischsprachige Sekretärin suchte? „Wo finde ich Señor Alvares?“
Der junge Mann zeigte hinauf zu der grauen Burg.
„Wie gelange
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