Romana Gold Band 15
getroffen. Doch das konnte nicht sein. Vielleicht war sie ihm hier in der Feriensiedlung begegnet … Nein, es war länger her, dass sie dieses Gesicht gesehen hatte. Bloß wo?
Noch während sie angestrengt überlegte, knackte es wieder im Unterholz. Jenna fuhr herum. Kam der rätselhafte Mann zurück?
Diesmal war es kein Mann, sondern ein Junge, eher ein Jugendlicher, mit einem struppigen braunen Haarschopf. Jenna empfand etwas wie Erleichterung – oder doch Enttäuschung? Freundlich lächelnd sah sie zu, wie der Junge unbeholfen den Abhang herunterstolperte und am Pool zum Stehen kam.
Betont lässig überquerte er den Rasen bis zu Jennas Liegeplatz und äußerte übertrieben cool: „Tut mir leid, ich habe das Gleichgewicht verloren.“
„Das kann vorkommen“, bemerkte Jenna. „Hast du deinem Arm auch nichts getan?“
Der Bursche schüttelte testweise sein Handgelenk, das in einem Gipsverband steckte. „Nein, alles okay. Ich wollte Sie aber nicht aufwecken.“
„Ich habe nicht geschlafen“, erklärte Jenna. „Ich habe nur meinen Geist abschweifen lassen. Das nennt man Teleportation.“
Der Junge sah sie verwirrt an und kniff die Augen zusammen. Offenbar fragte er sich, ob Jenna ihn aufziehen wollte. Dann grinste er und ließ sich ins Gras fallen. „Und wohin ist Ihr Geist abgeschweift?“, wollte er wissen.
„Ins Mittelalter.“
„Tatsache? Mit Pest und so? Ist ja stark.“
„Es hatte mehr mit edlen Rittern und hehren Burgen zu tun“, erläuterte Jenna.
„Ich habe kaum Ahnung vom Mittelalter.“ Der Junge legte sich auf den Rücken, den Kopf auf der gesunden Hand, und blickte in den blauen Himmel. „Aber das wär’ gut, wenn man das könnte. Einfach in alte Zeiten gehen.“
„Wo würdest du denn hingehen, wenn du könntest?“, erkundigte sich Jenna.
„Och, weiß nicht … Vielleicht auf eine Schatzinsel.“
„Mit Piraten und allem Drum und Dran?“
„Ja. Können wir das mal probieren?“ Er hob gespannt den Kopf.
Jenna überlegte einen Moment, dann schüttelte sie den Kopf. „Nein, bei Teleportation muss man einen konkreten Ort vor sich haben. Du musst das Bild direkt vor deinem geistigen Auge sehen. Wenn es den Ort gar nicht gibt, geht es nicht.“
„Hm. Wie wäre es zum Beispiel mit dem Weltraum?“
„So was wie dritter Krater von links auf dem Mond? Das könnte funktionieren“, gab Jenna zu. „Falls du ein Foto davon gesehen oder durch ein gutes Teleskop mit hoher Auflösung geschaut hast. Aber du kannst nicht einfach so in der Milchstraße herumstromern.“
„Schade. Dann kann man sich also gar nichts Verrücktes ausdenken?“
„Auf keinen Fall“, meinte Jenna ernsthaft. „Du könntest verloren gehen. Es muss alles wissenschaftlich abgesichert sein, verstehst du?“
„Mark!“, rief jemand ganz in der Nähe.
Der Junge schnaubte ärgerlich. „Oh Mann, diese schreckliche Clarissa.“
„Wer ist die schreckliche Clarissa?“, fragte Jenna.
„Ein ekliges Weib. Wenn es nach ihr ginge, gehörte sie sogar zur Familie. Die musste auf der ganzen Reise nach hier dauernd meckern, erst über die Hitze, und als wir das Autofenster aufmachten, über den Wind, der ihre Haare in Unordnung brachte. Wenn sie sich wenigstens normal beklagen würde, aber nein. Sie redet immer so kariert: ‚Es ist mir wirklich unangenehm, dass ich euch belästigen muss, aber …‘ Jetzt hat sie wahrscheinlich gemerkt, dass ich meine Sachen noch nicht ausgepackt habe. Als wenn sie das was anginge!“
„Du Ärmster“, meinte Jenna mitfühlend. „Kannst du nicht so tun, als hättest du nichts gehört?“
„Geht nicht“, gab Mark mürrisch zurück. „Wenn wir Sie heute Morgen singen hören konnten, dann hat Clarissa uns jetzt auch gehört. Und gesehen!“
„Sie kann uns sehen?“ Unbehaglich betrachtete Jenna die Villen, die sich am Hang hinaufzogen. „Dann sollte ich lieber nicht oben ohne sonnenbaden, was? Und aufpassen, was ich rede.“
Mark seufzte schwer. „Clarissa ist scheißfreundlich, wenn der Alte in der Nähe ist. Aber sonst behandelt sie mich, als wäre ich blöd oder so was.“
„Der Alte?“, hakte Jenna nach. „Verlangt er von dir, dass du zu Clarissa nett bist?“ Sie ahnte, welcher Art Marks familiäre Verwicklungen waren.
„Ach wo, der doch nicht. Der Alte verlangt von keinem was, er guckt einen bloß an. Und auf einmal erzählt man ihm Sachen, die man gar nicht erzählen wollte“, erklärte Mark. „Das macht er nicht mal extra“, fügte er düster hinzu.
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