Romana Gold Band 15
„Bei Clarissa hört er gar nicht hin, aber ich muss mir das Gejammer anhören. Das ist so ungerecht. Ich hasse die Frau!“
„Und das lässt du sie spüren“, stellte Jenna fest. „Das ist ziemlich unklug, mein Lieber.“
„Wieso?“
Jenna lächelte verschwörerisch. „Ich sage nur: Psychologie. Schlag sie mit ihren eigenen Waffen. Sei lieb und nett und zuckersüß …“
Im ersten Moment sah Mark sie zweifelnd an. Dann dämmerte es ihm. Er grinste breit. „Genau. Tolle Idee. Das macht sie garantiert wahnsinnig. Warum bin ich nicht selbst darauf gekommen?“
„Weil du nicht so schlau bist wie ich.“ Du bist ein Biest, Jenna Draycott, sagte Jennas vernünftige Hälfte, was mischst du dich da überhaupt ein? Aber gesagt war gesagt. Und wenn die schreckliche Clarissa vielleicht gar nicht so schlimm war, wie Mark behauptete, schlug der psychologische Rat zum Besten aller aus.
„Da dein Alter nicht auf sie hört“, fuhr Jenna leichthin fort, „ist es unwahrscheinlich, dass sie ihn in die Ehe lockt.“
„Doch! Eben darum! Die bringt es fertig, dass er sie aus Versehen heiratet!“, rief Mark aufgebracht.
„Meine Güte.“ Jenna musste ein Lachen unterdrücken.
Wieder erklang der Ruf. Mark sprang trotz seiner Gipshand mit einer Gewandtheit auf, die Jenna nur beneiden konnte. Doch er hatte sichtlich noch keine Lust zu gehen.
„Wo ist der alte Mann mit der Glatze von heute Morgen?“, wollte er wissen.
„Onkel John? Er ist nach England zurückgefahren.“ Zum Glück, fügte Jenna im Stillen hinzu. Ihr Onkel hatte darauf bestanden, sie im Wagen nach Spanien zu bringen – lieb gemeint, aber völlig überflüssig. Trotz des lädierten Beins war sie durchaus in der Lage, einen Wagen mit Automatik zu fahren.
Onkel John war ein reizender Mensch, allerdings bereits etwas wunderlich und ein lausiger Autofahrer. Doch die Fahrt war überstanden, und Jenna hatte beschlossen, sich nie wieder mit John in ein Auto zu setzen. Selbst wenn sie dafür ihre Flugangst endlich überwinden müsste.
„Ich habe gehört, wie er Sie Schnapp nannte“, bekannte Mark, geradezu rührend verlegen.
Jenna lachte. „Das ist mein Spitzname. Als Kind habe ich immer die Leute an den Kleidern geschnappt, wenn ich etwas wollte.“
„Soll ich Sie auch so nennen?“, fragte Mark vorsichtig.
„Erst mal solltest du mich nicht siezen“, gab Jenna zurück. „Du kannst Jenna sagen oder Schnapp oder einfach ‚He, du‘. Ich reagiere auf fast alles.“
Marks sonniges Lächeln war wirklich einnehmend. In drei, vier Jahren würde ihm das bei den Mädchen sehr zugutekommen. Das konnte Jenna in ihrem reifen Alter von sechsundzwanzig Jahren objektiv beurteilen. Leider fühlte sie sich vor diesem Mark nicht nur reif, sondern schlicht alt.
„Bleiben Sie … äh, bleibst du noch lange?“, fragte Mark wie nebenbei.
„Ein paar Wochen auf jeden Fall.“
„Oh, toll, ich …“
„Mark!“ Die Stimme war schneidend.
Mark verdrehte angeödet die Augen. „Ja, ja, komme schon. Ich darf dich doch wieder besuchen, Jenna?“ Das klang nicht wie eine Bitte, sondern wie eine Feststellung.
„Natürlich. Ich liege sowieso bloß den ganzen Tag im Garten.“
„Dann lass wenigstens deinen Geist abschweifen.“ Mark winkte lässig im Weggehen und kletterte den steilen Abhang zu seinem Ferienhaus hinauf.
Nett, der Junge, eine angenehme Bekanntschaft. Das Traurige war nur, dass Mark Jenna tatsächlich jederzeit im Garten antreffen würde, denn sie war quasi zur Untätigkeit verdammt.
Zwar versuchte Jenna, die erzwungene Muße zu genießen. Aber sich gar nicht aus dem Haus zu rühren, nur um ihr Humpeln zu verbergen, war doch extrem lästig. Sie schämte sich nicht etwa wegen der Behinderung, peinlich war ihr vielmehr die Neugier der Umgebung. Auch wenn sie versuchte, nur knappe Auskünfte zu geben, so wollten die Leute doch alle schauerlichen Einzelheiten wissen. Und das artete dann sofort in Heldenverehrung aus.
Unseligerweise war Helen, die Jenna ihre spanische Ferienvilla zur freien Benutzung angeboten hatte, mit der Geschichte in der Nachbarschaft hausieren gegangen. Helen konnte sich gar nicht darüber beruhigen, wie wundersam ihr Enkelsohn bei dem Busunfall von Jenna gerettet worden war. Dabei hatte Helen versprochen, nur den unmittelbaren Nachbarn Peter zu informieren für den Fall, dass Jenna Hilfe brauchte. Und das war ohnehin unwahrscheinlich, denn täglich erschien ein Hausmädchen, das putzte und einkaufte und bei Bedarf sogar
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