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Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)

Titel: Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Harald Martenstein
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vor allem sehr, sehr hell und extrem fleckempfindlich. Das Irrste: Die Plätze haben sogar einen eigenen Computer, einen Apple. Beim Föhnen darf im Internet gesurft werden. Hamburg, Tor zur Welt.
    Herr Balser sagt: »Sie waren aber schon lange nicht mehr hier, Herr Martenstein.« Dabei kennen wir uns doch gar nicht! Da muss man bluffen.
    »Viel zu tun. Wird immer schlimmer. Wie geht es unserer Marlies?« Frau Möller habe sich seit einiger Zeit aus dem aktiven Geschäft zurückgezogen und wirke nur mehr im Management.
    Herr Balser beginnt ansatzlos, die Philosophie des Trockenschneidens zu preisen, es gebe dazu auch eine interessante Produktlinie. Jeder Möllerfriseur besitze eine Zusatzausbildung in der Philosophie des Trockenschneidens. Und ich will ausdrücklich einen Nassschnitt! Das ist, als ob du im Hofbräuhaus Weißwein bestellst. Aber Herr Balser lässt sich nichts anmerken. Der Haarschnitt, den ich da hätte, na ja, da müsse man schon noch mal ein bisschen was machen. Am Hinterkopf sei das viel zu schwer. Die Leichtigkeit fehlt. Und die Übergänge, die seien, pardon, etwas unbeholfen, nicht ganz stimmig, im Ganzen zu schwer. Die bajuwarische Meirschwere. Herr Balser bringt Hanseatenschwung hinein,es sieht echt gut aus. Statt der üblichen 38 Euro verlangt er für Waschen, Föhnen, Nachschneiden auch nur 29 Euro 50 und wartet unauffällig neben der Kasse. Er wartet nicht vergeblich. Herr Balser, so sagen meine Bezugspersonen, war der Beste von allen. Bei drei Prominentenfriseuren und insgesamt vier Stunden Aufenthaltsdauer habe ich übrigens nur zwei echte Prominente gesehen, dies waren Udo Walz und Gerhard Meir.

Tugendrepublik Deutschland
    Vor einigen Wochen hat die Welt Genevieve Cook kennengelernt, eine Australierin des Jahrgangs 1957. Frau Cook war 1983 für kurze Zeit die Freundin von Barack Obama, der ein bisschen jünger ist als sie und damals studierte. Man weiß jetzt, wie es beim ersten Mal war: Sie kochten gemeinsam, danach, so Frau Cook, »fühlte es sich an, als müsse es geschehen«. Man weiß jetzt, dass Barack Obama, als »es« geschah, »zärtlich, aber gleichzeitig kühl« war, dass er nach Schweiß und Rosinen roch und dass er als Student sonntags mit nacktem Oberkörper das Kreuzworträtsel in der New York Times zu lösen pflegte.
    Ich habe das in der Zeitung gelesen.
    Wer regelmäßig in Bild hineinschaut, kann dort auch Angela Merkel beim Einkauf betrachten, Bild- Leserreporter haben sie dabei fotografiert. Auch der Inhalt des Einkaufskorbes ist bekannt: tiefgekühlte Forellen und ein Braten. Philipp Rösler hört beim Einkaufen übrigens Musik aus seinem iPod. Davon gibt es ebenfalls Fotos.
    Das sind alles harmlose Dinge. Obama war damals noch lange nicht mit Michelle zusammen. Harmlose Dinge, nichts ist das, gar nichts – außer vielleicht ein Zeugnis der Tatsache, dass jede halbwegs interessante Person und jede alltägliche Handlung heute ein Gegenstand nahezu ununterbrochener Beobachtung sind, nicht zuletzt wegen der Leserreporter,aber auch wegen der tausend Möglichkeiten des Internets und wegen der Handykameras. Vor allem aber deshalb, weil der Mensch ein neugieriges Wesen ist und weil die Neugierde, wie jedes Bedürfnis, sich in einer Warengesellschaft ökonomisch nutzen lässt.
    Der sogenannte »Skandal« bringt dann die kollektive Seele zum Kochen, wobei man unter einem »Skandal« in der Sprache der Boulevardmedien jedes Verhalten versteht, das nicht ganz der Norm entspricht  – eine Mogelei, einen Seitensprung, einen Wutanfall, den Kauf einer Flasche harten Alkohols, eine Umweltverschmutzung, vielleicht schon ein unvorteilhaftes Foto in der zu knappen Badehose.
    In Wirklichkeit ist der sogenannte Skandal natürlich der menschliche Normalfall. Jede Gesellschaft hat Normen, Moralvorstellungen, eine Idee von »richtig« und »falsch«. Gleichzeitig hat es, vermute ich, noch nie eine Gesellschaft gegeben, in der sich alle ständig an diese Normen gehalten hätten. Das ahnt jeder, und fast jede Gesellschaft nimmt es hin. Sogar im Iran gibt es Klubs, in denen Whiskey getrunken wird und in denen Frauen alles andere als verschleiert sind, Klubs, von denen die Obrigkeit weiß, die sie aber duldet. Selbst so extreme Systeme wie der Stalinismus und der Nationalsozialismus ließen vereinzelt Nischen zu, ein paar Ventile, Schwarzmärkte, Bordelle, Treffpunkte für Homosexuelle.
    Es gab immer eine Fassade, und hinter der Fassade gab es immer eine zweite, eine etwas

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