Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
realistischere Moral.
Moralische Normen und Gesetze können nämlich keine perfekten Menschen aus uns machen. Sie verhindern lediglich durch Sanktionen, zu denen auch der Gesichtsverlust und die Blamage gehören, dass allzu viele allzu sehr über die Stränge schlagen. Es wird immer Diebe geben, Betrüger, Lügner, fastjeder von uns hat schon gelogen. Aber wenn wir uns mit der Lüge und dem Diebstahl abfinden, dann brechen alle Dämme.
Wir, die Deutschen von heute, glauben, freier zu sein als alle Generationen vor uns, in gewisser Hinsicht stimmt das auch. Wir dürfen unsere Regierungen kritisieren, die meisten leiden nicht unter materieller Not, wir leben lang und haben einige Krankheiten besiegt. Wenn wir unsere Sexualität jenseits der heterosexuellen Monogamie entfalten möchten, dann geht das. Gleichzeitig aber stand noch nie eine Gesellschaft, die keine Diktatur ist, so sehr unter Kontrolle.
Wir kehren auf Facebook und in den unendlich vielen Shows unser Inneres nach außen, es wird von uns erwartet, nahezu ununterbrochen zu kommunizieren, wie die Ameisen es tun. So werden wir nach und nach zu Menschen ohne Geheimnis. Sein und Schein sollen sich, einmalig und erstmals in der Geschichte, nicht mehr unterscheiden. Alles soll gut ausgeleuchtet sein, transparent. Keine Geheimsitzungen mehr, so fordern es manche aus der neuen Erfolgspartei, den Piraten. Keine Doppelmoral mehr, keine Grauzone.
Colin Powell, der ehemalige US-Außenminister, klagt darüber, dass er sogar auf öffentlichen Toiletten von Handyfotografen verfolgt wird. Als er einmal falsch parkte, wurde ein Foto seines Autos ins Internet gestellt.
Von den großen Figuren der Geschichte hätte, nach unseren heutigen Maßstäben, vermutlich kaum eine Bestand vor dem permanent tagenden Gericht der öffentlichen Meinung. Die Geschichte ist ein einziger Skandal, weil es in der Geschichte immer einen Unterschied zwischen dem offiziellen Leben, das mehr oder weniger inszeniert war, und dem tatsächlichen Leben gegeben hat. Katharina die Große und ihre zahlreichen Liebhaber. Napoleon und seine Sexsucht. Deramerikanische Präsident Thomas Jefferson und die schwarze Sally Hemings, seine Nebenfrau, der Trinker Goethe, der manchmal tagelang wegen seiner Depressionen unansprechbare Willy Brandt, das sind nur ein paar Beispiele aus dem Fundus dessen, was man weiß. Diese Dinge waren bekannt, nicht allen, aber einigen. Sie standen allerdings nicht in der Zeitung.
Heute ginge das nicht mehr. Angela Merkel könnte nicht tagelang mit einem Lover abtauchen, sie könnte wahrscheinlich nicht mal in einem Ausflugslokal in Ruhe eine Zigarette rauchen. Barack Obama könnte gewiss keine Dauergeliebte aus dem politischen Gegenlager haben. Es stünde in der Zeitung. Das Internet würde überlaufen. Der Druck würde täglich wachsen. Die Aura ginge kaputt.
Fast keines der politischen Idole aus der Vergangenheit würde unter heutigen Verhältnissen übrigbleiben – nur die Allergeschicktesten und die Tugendbolde. Bleibt die Frage, ob die Bravsten und Angepasstesten dann auch wirklich die Besten sind für das Amt, das sie bekleiden.
In der Nazizeit haben in Deutschland einige Tausend Juden überlebt, weil sie von Freunden und Nachbarn versteckt wurden, in Gartenlauben und Hinterzimmern, oder weil sie mit gefälschten Papieren plötzlich in einer anderen Umgebung auftauchten, wo niemand sie kannte. Ginge so etwas heute noch? Ich glaube nicht daran. Man würde sofort ihre Spuren entdecken, im Internet oder dank einer Fernsehsendung, in der öffentlich zur Jagd geblasen wird.
Wenn ein Politiker gern christliche Werte im Mund führt und mit Fotos seiner angeblich perfekten Familie für sich wirbt, darf man die Öffentlichkeit meiner Ansicht nach darüber informieren, dass dieser Mensch demnächst Vater wird,und zwar außerehelich. Aber was ist, zum Beispiel, mit dem sechzehnjährigen Daniele? Der Junge war Kandidat in der Castingshow Deutschland sucht den Superstar. Gewonnen hat er nicht. Ein paar Tage nach seiner Niederlage ging er in Regensburg in eine Diskothek. An diesem Abend stand eine Sexshow auf dem Programm. Eine Pornodarstellerin setzte sich, ziemlich nackt, auf seinen Schoß, anfassen ließ sie sich auch. Tags darauf erschienen Fotos und die Meldung: »Das Jugendamt schaltet sich ein.«
Der Schauspieler Fritz Wepper hat nie so getan, als sei er ein Heiliger. Wer sich für solche Dinge interessiert, weiß, dass seine Ehe von schweren Stürmen gezaust wird und dass
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