Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
gelangt man in den Salon, eine langgestreckte Halle mit hohen Fenstern und Spiegeln, auf der einen Seite die Plätze zum Waschen, auf der anderen Seite die Schneideplätze. Es ist so angelegt, dass die Kunden einander in ihrer ganzen Schönheit ausgiebig studieren können, im Gegensatz zu der verwinkelten Situation bei Walz. Das Wasser kommt in einem Glas und auf einem Barwagen. Für das Haarewaschen ist eine füllige Schwarze zuständig.Eine würdevolle alte Dame, von der man zuerst denkt, es sei vielleicht die Mutter von Meir, räumt das Geschirr ab. Und da ist er auch selber. Himmelblaue Krawatte, kariertes Hemd. Aber um die Hüfte herum spannt es auch bei ihm schon ganz schön.
Was man dank Bunte und Gala alles weiß über so einen Menschen! Ich weiß, dass Gerhard Meir vor acht Jahren auf Mykonos einen ganz üblen L SD-Trip hatte und dabei die ganze Zeit »Deck mich! Deck mich!« gebrüllt hat. Stundenlang! Ich weiß, dass er Stoiber gut findet, obwohl er meint, dass Stoiber auf dem Kopf ein bisschen wuscheliger sein sollte. Ich weiß, dass er gegen seinen Exlover prozessiert hat und schon mittags Weißwein trinkt. Ich weiß, dass es seiner Ansicht nach etwa 1000 gute Friseure gibt in Deutschland, 1000 von insgesamt 65 000. Am Anfang hat er, um als Promifriseur hochzukommen, Prominente umsonst frisiert.
Günther trägt Glatze und Brillie im Ohr. Sein restliches Outfit erinnert stark an eine Knastuniform. Er streitet sich mit einem Typ in schwarzem Unterhemd, der ihm wütend vorwirft, dass er ihn beim Essenbestellen vergessen hat, absichtlich womöglich. »Du Zicke!«, ruft Günther. Das sitzt. Er muss aber laut rufen. Es ist laut im Salon, man versteht kaum was. Darunter leidet die Konversation. Zum Glück. Meir hat über Gespräche im Salon mal gesagt: »Wenn eine Kundin mich zumüllt, schüttel ich ihren Kopf einmal kräftig durch und übergebe die Dame an meine Assistenten.«
Günther findet, dass der letzte Friseur es nicht gut gemacht hat. Der Schnitt sei so lala. Man muss das alles noch mal nachschneiden, und diese Übergänge am Hinterkopf, um Gottes willen. Ich traue mich gar nicht zu sagen, dass es bei Udo Walz war. Und Günther versucht nicht, Shampoo zu verkaufen,angenehm, dafür macht die Rechnung 45 Euro. An der Kasse wartet er auffällig unauffällig auf ein Trinkgeld, aber in der Brieftasche ist zufällig nur ein 50-Euro-Schein, nein, Günther, mehr geht nun wirklich nicht.
Bei Marlies. Im Internet kann man ein Bild von Marlies Möller betrachten, sie ist also eine superflotte Strähnchenträgerin von Ende 30, Anlaufstation Nummer eins der besseren Hamburger Gesellschaft und Besitzerin zahlreicher Titel. Trägerin des Prix de Beauté, Commandeur d’Intercoiffure, Lehrbeauftragte für Frisuren- und Gesichtsgestaltung an der Uni Hamburg ... Halt, stopp, wann hat sie ihren ersten Salon eröffnet? 1962? Irgendwas stimmt da wohl nicht mit dem Foto.
Von Marlies Möller stammt das Grundlagenwerk »Philosophie des Trockenschneidens«, das sich stellenweise liest wie Hegels Phänomenologie des Geistes. Marlies Möller: »Beim Schneiden kann der negative Fall des Haares zum Positiven sichtbar gemacht werden.« Sie behauptet, kurz gefasst, dass Haareschneiden in trockenem Zustand Ängste abbaut, während das Nassschneiden die Ängste im Volk eher schürt. An ihrem Laden, Neuer Wall 61, edle Gegend, läuft man erst mal vorbei. Eine graue Schieferfassade mit schießschartenartigen Fenstern, der Name extrem dezent in den Stein eingelassen. Wie eine Privatbank. Drinnen eine Empfangstheke, hinter der, aufgereiht wie Perlen, sechs weißgekleidete Damen stehen, die alle gleichzeitig die extrem weißen Zähne zu einem synchronen Begrüßungslächeln entblößen, fast wie in einer Tigerdressur von Siegfried und Roy. Wenn das keine Ängste schürt, bitte sehr, was dann?
Vor ihnen liegen riesige Terminpläne. Der Salon hat drei Stockwerke. Hier in Hamburg siezt man die Friseure, meinerheißt »Herr Balser«. Der Besuch in München liegt erst vier Tage zurück. Ich sage: »Ach, nur waschen und föhnen und so.« Herr Balser führt in einen Raum, in dem alles strahlend weiß ist, die Wände, die Möbel, das Licht, fast möchte man eine Sonnenbrille aufsetzen. Und alle Friseure und Friseurinnen sind hellblond. Alle! Es ist wie in diesem Horrorfilm mit den außerirdischen Kindern, die auch alle hellblond sind. Wenn in Berlin der Promifriseur proletarisch ist und in München griechisch-römisch, dann ist er hier
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