Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
individuelle Risiken ist vielmehr Sache des Staates, der dabei von einem Heer aufmerksamer Hobbydetektive und emsiger Leserreporter unterstützt wird.
Es handelt sich dabei nicht um ein deutsches Phänomen, sondern um eines der modernen demokratischen Gesellschaften. Bei der Wahrung von Sitte und Anstand sind die USA noch um einiges radikaler, schwer zu sagen, ob immer noch oder schon wieder. Ein Sechsjähriger aus Colorado hat kürzlich einer Mitschülerin den Refrain eines Pophits vorgetragen, er heißt: »I’m sexy and I know it.« Das Kind wurde wegen sexueller Belästigung für drei Tage der Schule verwiesen.
Viele Vorschriften und Verbote sind, für sich betrachtet, vernünftig. Auch gegen das Vorhandensein moralischer Prinzipien ist nichts einzuwenden, im Gegenteil. Ich möchte ungern missverstanden werden, etwa als jemand, der sich für Kinderarbeit, gegen Nichtraucherschutz und für die NPD einsetzt. Es kommt aber, wie in der Medizin, auch beim Moralismus und bei der Risikovermeidung auf die Dosis an. Das Streben nach sozialer Gerechtigkeit ist zum Beispiel ganz gewiss ehrenwert. Der Versuch, eine vollkommen gerechte Gesellschaft zu errichten, kann aber nachweislich im Stalinismus enden.
Es kommt auf die Dosis an. Es muss Grenzen geben. Als die Plagiatejäger im Internet die Doktorarbeit des Ministers Guttenberg zerpflückt haben, war das ein Dienst an der Allgemeinheit. Ein Blender wurde enttarnt, rechtzeitig, bevor er womöglich Bundeskanzler geworden wäre. Muss deswegen jetzt jede lang zurückliegende mittelschwere Schlamperei in jeder Promotion jeder mittelbedeutenden Persönlichkeit an den Pranger gestellt werden? Ich finde, nein. Eine Gesellschaft,in der kleine Verfehlungen und marginale Abweichungen vom rechten Pfad noch nach Jahrzehnten zum Ende einer Berufslaufbahn und zu einer öffentlichen Charakterhinrichtung führen, ist unmenschlich.
Kaum etwas kommt mir vernünftiger vor als der Schutz der Nichtraucher vor Belästigung. Muss man deshalb den Rauchern, auch denen, die Rücksicht nehmen, das Leben so schwer wie möglich machen? Muss man ihnen verbieten, sich auf einem bayrischen See eine Zigarette anzustecken? Muss man einem rauchenden Wirt verbieten, seinen rauchenden Gästen eine Suppe zu verkaufen?
Das Standardargument ist dabei bekanntlich die Belastung der Allgemeinheit, die ein Raucher angeblich verursacht. Wer bezahlt für die Behandlung seiner Krankheiten? Antwort: die Gesellschaft. Die Solidargemeinschaft der Versicherten.
In Wirklichkeit führen sich solche Rechnungen, wenn man sich wirklich einmal darauf einlässt, selbst ad absurdum. Denn der Raucher, der früher stirbt, als die Statistik es vorsieht, spart seiner Rentenversicherung ja zweifellos auch einen Haufen Geld. Das Gleiche gilt für den nicht angeschnallten Autofahrer, der im für die Allgemeinheit günstigsten Fall sofort hinüber ist, sagen wir, mit 50 Jahren, und dabei die Gemeinschaft der Versicherten, neben der Rente, sogar von den voraussichtlich immensen Kosten befreit, die er als 80- oder 90-Jähriger durch seine Alterskrankheiten verursacht hätte.
Der für die Staatskasse günstigste Lebenslauf, der finanzielle Idealfall also, wäre zweifellos der plötzliche Herztod kurz nach dem Erreichen des Rentenalters – ein typisches Raucherschicksal, könnte man sagen.
Einerseits hören wir oft von der alternden Gesellschaft, die vielen Alten sind ein Problem. Gleichzeitig werden wir immerwieder dazu ermahnt, gesund zu leben, wir sollen Sport treiben, wir sollen nicht rauchen, wir sollen Gemüse essen. Wir sollen 100 werden. Das ist beinahe schon eine staatsbürgerliche Pflicht. Unser Körper gehört nicht mehr uns alleine, wir haben unseren Körper offenbar vom Staat großzügig zur Verfügung gestellt bekommen, und der Staat verlangt, dass wir mit dieser Leihgabe pfleglich umgehen.
Im Radio habe ich gehört, dass die 1,5-Liter-Behälter für Cola in den New Yorker Kinos verboten werden. Die Leute sind zu dick. Ein deutscher Medizinprofessor wurde dazu vom Sender interviewt. Auf die Frage der Moderatorin, ob Erwachsene nicht selbst darüber bestimmen könnten, wie viel Cola sie im Kino trinken, antwortete der Professor: Der Mensch brauche Leitlinien, auch der erwachsene Mensch. Kim Il Sung hätte es nicht besser ausdrücken können.
Je älter wir im Durchschnitt werden und je gesünder wir im Durchschnitt sind, desto mehr Sorgen macht man sich um unser Wohlergehen und desto größer wird der Druck, noch
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