Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
aber der Armut sind grundsätzlich glücklicher als Länder mit großen Unterschieden. Die »Ich-AG« und der harte Konkurrenzkampf, den die Neoliberalen predigen, bringen jedenfalls nicht das Glück ins Haus.
Ganz wichtig zum Glücklichsein ist das Gefühl, sich auszukennen. Das Leben im Griff zu haben. Kontrolle über den eigenen Alltag. Zu wissen: Dieses ist richtig. Jenes ist falsch. Deswegen, schreibt Klein, sind die Völker in der ehemaligen Sowjetunion so unglücklich. Ihr Koordinatensystem für gut und böse, für richtig und falsch ist zerbrochen.
Umbrüche sind schlecht. Ambivalenz ist schlecht. Langeweile ist gut. Klarheit ist gut. Wenn man sich zum Beispiel Osnabrück anschaut: Sie haben sich dort in den letzten Jahrzehnten ihre kleine Welt perfekt eingerichtet. Die Friedensstadt.Immer fürs Gute, in jeder Form. Das Böse macht einen großen Bogen um Osnabrück. Man kann sich darüber lustig machen. Vielleicht sollte man das sogar. Aber eines steht fest: Sie sind glücklich.
Sozialismus revisited
Am Ortseingang steht immer noch die Käsefabrik, wie damals. Dahinter fangen die Rinderkoppeln an. Der Kibbuz liegt über der Fabrik am Hang, mit Blick über die Ebene und auf die Berge. Er sieht heruntergekommen aus. Umgestürzte Schilder, verrostete Landmaschinen. An manchen Häusern blättert der Putz, andere wirken unbewohnt, am Gemeinschaftshaus fehlen ein paar Fensterscheiben. Die Palmen aber sind riesig inzwischen, bestimmt zehn Meter hoch.
Es ist immer traurig, nach vielen Jahren an einen Ort zurückzukommen und seine Erinnerungen zu begraben. Eigentlich sollte man so etwas nicht tun.
Ein Fremder, der durch ein Dorf von 300 Einwohnern geht, wird überall auf der Welt misstrauisch angestarrt. In Tel Yosef nicht. Die Leute nicken einem zu und gehen ihres Weges. Man wird zur Kenntnis genommen, das ist alles. Fremde sind harmlos. Sogar die Selbstmordanschläge scheinen nichts an dieser Meinung geändert zu haben. In dieser Gegend, nicht weit entfernt vom See Genezareth, war es während der zweiten Intifada bisher relativ ruhig.
Auch in Tel Aviv sind die Kontrollen vor den Restaurants inzwischen lässig, beinahe eine Formsache. Israel wirkt, an der Oberfläche, gelassen. Wie immer. Kein Vergleich mit dem deutschen Herbst 77, mit der hyperventilierenden Stimmung nach der Schleyer-Entführung.
Das Josef-Trumpeldor-Museum ist geöffnet. Josef Trumpeldor, genannt der »einarmige Josef«, Held des Russisch-Japanischen Krieges, einziger jüdischer Offizier in der Armee des Zaren, Kibbuz-Pionier, gefallen 1920, nicht weit von hier im Kampf gegen die Araber, durchsiebt von zahlreichen Kugeln. Seine legendären letzten Worte lauteten: »Das macht nichts.«
Ein halbdunkler Raum voller Bücher und Fotos, darunter auch deutsche Bücher. »Heroische Gestalten des jüdischen Stammes«, Berlin 1937, herausgegeben vom »Reichsbund jüdischer Frontsoldaten«. Rachel Sass sitzt da, eine Frau von Mitte sechzig, die aufpasst, dass nichts gestohlen wird. Sie erzählt, dass sie im Dorf immer noch Hühner haben, Fischteiche, die Rinder, Grapefruit. Die Oliven haben sie aufgegeben.
Ich sage: »Ich habe hier mal ein paar Monate gearbeitet.« Sie sagt: »Ach? Kennen wir uns?« Ich frage: »Was macht der Sozialismus?«
Rachel Sass: »Der Gemeinschaftsspeisesaal ist geschlossen. Das Kinderhaus ist zu. Der Einheitslohn ist weg. Die jungen Leute gehen zu den Soldaten und kommen hinterher nicht wieder. Socialism is gone.«
Und die Käsefabrik? Die Käsefabrik ist so groß wie Burg Neuschwanstein und glänzt in der Sonne wie eine Erdölraffinerie. Mit dem Käsegeld müsste man den Sozialismus in einem Dorf spielend finanzieren können.
»Die Käsefabrik gehört nicht dem Kibbuz. Sie steht auf Land, das sie uns vor vielen Jahren billig abgeschwatzt haben. Das war ein sehr schlimmer Fehler.« Die Käsefabrik sieht man dummerweise fast von jeder Stelle des Ortes aus.
Habt ihr noch Freiwillige? Rachel Sass sagte: »Nein. Für die einfachen Handarbeiten haben wir jetzt Maschinen.«
Ich gehe zu den Häusern, wo früher die Freiwilligen wohnten.Kleine Baracken mit winzigen Fenstern. Es gab dort Skorpione, die gern in die Schuhe krochen. Die Häuschen stehen noch, dort schlafen jetzt manchmal Soldaten, wenn sie übers Wochenende ihre Eltern besuchen. Eine Motorradruine steht dort und eine Hollywoodschaukel aus Sperrholz. Der Swimmingpool ist leer.
In den 70er Jahren, nach dem Abitur, vor dem Ersatzdienst, sind ziemlich viele Leute
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