Romantische Nächte im Zoo: Betrachtungen und Geschichten aus einem komischen Land (German Edition)
Urlaub machen.
Auf der leeren Dorfstraße gehe ich auf und ab und wieder zurück und dann wieder und wieder, und wieder, ein bisschen wie in dem Film »High Noon«. Ich denke: Ich tue jetzt etwas, das hier vielleicht seit den Bauernkriegen noch nie jemand getan hat. Ich provoziere.
An allen Fenstern sind die Vorhänge zugezogen. Das einzige Geräusch kommt von einem Hund, der bellend und mitgefletschten Zähnen gegen das Gitter seines Zwingers springt. Und plötzlich wird, direkt hinter mir, mit viel Nachdruck ein Rollladen hinuntergelassen. Auf diese Weise kommt dann doch eine Art Dialog zustande.
Im Grunde ist Gerstengrund gar nicht so schwer zu verstehen, wenn man mal darüber nachdenkt. Der Glaube, feuergehärtet in der Zeit der Reformation, als hier heftig gekämpft wurde, später durch die katholische Diaspora in der DDR, die isolierte Lage in der verbotenen Zone, die geographische Situation am Ende des Tals, das Bäuerliche, Beharrende, dazu der relative Wohlstand durch die Jobs in Hessen, der jeden Veränderungsdruck abfedert, das alles ist miteinander verschmolzen zu dem, was man jetzt hier sieht. Die aus der Zeit gefallene Schönheit von Gerstengrund aber ist kein Zufall, diese Abwesenheit von Werbung und hässlichem Schnickschnack. Sie hat mit der katholischen Widerstandskraft gegen den Kapitalismus zu tun. Der Kapitalismus ist genauso ein Gleichmacher wie der Sozialismus, beide machen aus den Dörfern hässliche kleine Städte. Aber an Gerstengrund haben sich alle Dorfverhässlicher die Zähne ausgebissen, bis heute. Antonius Schütz hat völlig recht, wenn er die Rollläden runterlässt.
So denke ich und gehe rechts hinter dem Dorfausgang den Berg hoch, bis zu einer moosbewachsenen Bank und einem moosbewachsenen Tisch, die dem großen Moosforscher Adalbert Geheeb aus Geisa sicher gefallen hätten. Von hier oben aus wirkt Gerstengrund noch hinreißender, ein bisschen wie Lönneberga, das Traumdorf aus den Kindergeschichten von Astrid Lindgren. Nach etwa einer halben Stunde gehen wieder vorsichtig Fenster auf, Rollläden werden zögernd hochgezogen, ein Mann geht über die Dorfstraße, steigt inein Auto und fährt Richtung Stadt. Sie haben den Angriff abgeschlagen. Vielleicht sollte ich jemanden fragen, was sie in Gerstengrund tun, wenn eine Vierzehnjährige schwanger wird oder wenn ein Junge sich als schwul herausstellt. Vielleicht sollte ich fragen, was sie tun werden, wenn sie merken, dass Angela Merkel mit der Jungfrau Maria genauso wenig am Hut hat wie Gerhard Schröder mit dem heiligen Joseph. Ich muss noch mal Frau Möller anrufen. Aber dann merke ich, dass mein Handy hier hinten im Tal nicht funktioniert.
Glück
Die Wissenschaft hat festgestellt, dass in Osnabrück die zufriedensten Deutschen leben. Es war eine riesige Umfrage mit mehr als 350 000 Teilnehmern. 87 Prozent der Osnabrücker leben gern oder sehr gern in Osnabrück. Das ist Rekord. Am ungernsten lebt man in Dessau.
Die Umfrage stellt alles auf den Kopf, was man über gute Städte und nicht so gute Städte und das schöne Leben und das Glück und all dieses Zeug zu wissen glaubt. Auf Platz 2 liegt zum Beispiel das Gebiet rund um Villingen-Schwenningen. Stuttgart (Platz 5) liegt weit vor München (Platz 12). In Hannover ist man wesentlich glücklicher als in Berlin (Platz 74). Bochum? Weit vor Göttingen.
Die Institution, der die Deutschen das größte Vertrauen entgegenbringen, ist übrigens der ADAC. Das hat die gleiche Studie ergeben. Gemacht hat sie das McKinsey-Institut, unter anderem im Auftrag des ZDF. Alles hochseriös und megagründlich.
Am besten fahren wir also ganz schnell nach Osnabrück. Es liegt in Niedersachsen. Es hat 160 000 Einwohner. Wenn man von oben draufschaut, sagen wir mal: aus dem Himmel, sieht man hinter der Stadt die Freizeit- und Erlebnisregion Teutoburger Wald und vorne das nordddeutsche Flachland. Das andere flache Gebiet gleich links um die Ecke heißt Holland.
Osnabrück ist hübsch. Es hat alles, was eine gute deutscheStadt braucht. Es hat einen Dom, eine Altstadt, ein Schloss, einen Fluss, der »Hase« heißt, einen Fußballverein, der aufsteigen will, und eine Uni. Es hat Brunnen und Stadtmöbel, die Geschmackssache sind, ein paar Bausünden aus der Nachkriegszeit, viele Fahrradwege, ein Filmfest, ein Medienkunstfest, ein Musikfestival, eine lange Nacht der Museen, »romantische Nächte im Zoo«, ein Stadtfest, ein schwul-lesbisches Kulturfestival und israelische Kulturwochen.
Jede
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