Romeo für immer, Band 02
Söldner rannte vor mir davon. Er wusste, was ich war, sah, was aus mir geworden war, und befürchtete wohl, dass der Fluch, mit dem ich geschlagen bin, ansteckend sein könnte.
Ich bin verflucht und verdammt.
Es stimmt, und ich habe in den Wochen, seit Julia zum zweiten Mal verschieden ist, sehr gelitten. Ich habe meine Sinne zurückbekommen, damit ich merke, dass ich stinke wie eine Pestgrube und aussehe wie ein Monster. Damit mir jeder Schritt als höllischer Schmerz durch die Brust fährt und dröhnend in meinem Kopf widerhallt. Nun bin ich wahrhaftig eine Kreatur der Finsternis, ein derart schreckliches Wesen, dass ich nichts anderes tun kann, als mich in dunklen Winkeln zu verstecken und zu versuchen, mich zu wärmen, während der Wind durch meine Knochen pfeift.
Das Einzige, was mich davon abhält, diesem erbärmlichen Dasein ein Ende zu setzen, ist die Warnung des Mönchs, dass mich diese Tat zu einem Phantom machen würde, unhörbar, unsichtbar und formlos.
»Was meinst du, wie unangenehm dir erst ein paar Millionen Jahre als ein unsichtbares Nichts sein werden, dessen Schreie niemand hören kann?«
Die größten Lügner sagen immer die Wahrheit, wenn sie können. Alles, was er sonst noch gesagt hatte, war bereits eingetreten: Ich wurde von den Söldnern verstoßen und in dieses grausame Zerrbild meines ursprünglichen Körpers gezwungen. Er ist ein Abbild meiner Seele, an dem die Gräueltaten, die ich begangen habe, verheerende Schäden angerichtet haben.
Was ist, wenn auch der Rest seiner Prophezeiung stimmt? Wenn meine Seele nach dem Tod dieses Körpers weiterlebt? Dann ist das hier schon besser. Alles ist besser als die Qual, ein unsichtbares Nichts zu sein, von dessen Existenz niemand weiß und dessen Stimme niemand hört.
Sogar die Schreie der Menschen, die vor mir davonlaufen, sind besser als nichts, denn immerhin bestätigen sie meine Existenz.
Heiseres Schluchzen durchbricht die Stille. Es hört sich an wie ein verwundetes Tier, das verzweifelt die Sonnenstrahlen anwinselt, die auf eine Wand fallen. In den vergangenen Wochen habe ich mehr geheult als in meinem ganzen Leben und dem Leben nach meinem Tod zusammen. Die quälenden Erinnerungen, die mich verfolgten, als ich ein Söldner war, erfüllen mich nun mit Reue, mit Hass, Angst, Liebe …
Ich habe sie die ganze Zeit geliebt. Wie sehr, ist mir erst bewusst geworden, als ich an den Ort zurückgekrochen bin, an dem sie ein zweites Mal starb; als ich ihre leblose Hand berührt und angesichts ihrer großen, leblosen Augen zu weinen angefangen habe. Julia. Ihre Seele ist für immer gegangen. Ich kann den Unterschied spüren; die Welt ist dunkler geworden, sie hat nun ein Licht weniger. Ich habe versucht, sie zu retten. Ich hoffe, dass es mir in gewisser Weise gelungen ist und sie nun in Frieden im Nebel ruht, oder wo auch immer die Guten hingehen.
Ich hoffe, der Junge, den sie geliebt hat, ist bei ihr. Um ihn habe ich zwar nicht geweint, aber ich habe seinen Verlust bedauert. Zum ersten Mal seit Hunderten von Jahren habe ich mir gewünscht, ich hätte eine andere Wahl gehabt und beide verschonen können. Doch ich konnte den Mönch nicht bezwingen, und ihre Liebe hätte seine Quälereien nicht überstanden. Das Beste, was ich tun konnte, war, sie zu töten und mich an ihrer Stelle anzubieten.
Vielleicht bereue ich meine Entscheidung eines Tages, wenn aus den Wochen unerträglichen Leidens Jahre und Jahrzehnte und Jahrhunderte geworden sind und ich schließlich nur noch Staub bin und mir auch der Luxus des Weinens versagt ist.
Am besten weine ich, solange ich noch Augen habe.
Mein Schluchzen durchbricht die Stille und scheucht die Vögel aus ihren Nestern auf. Sie schwingen sich in die Luft, und ihre Flügel hören sich an wie Laken, die man zum Trocknen in den Wind gehängt hat. Das Geräusch ist so laut, dass ich mich tiefer in meine Decke verkrieche, um meine Ohren zu schützen. Es sind Hunderte, so viele, dass der Boden mit ihrem von Fliegen umschwärmten Unrat bedeckt ist.
Dieses Dreckloch hier ist kein Ort für einen Menschen, aber für mich ist es perfekt.
»Da bist du ja! Ich habe dich gesucht.« Die Stimme kommt aus Richtung der Tür. Sie klingt so heiter, dass mir die Ohren davon wehtun. Es ist eine Frau, eine hübsche Rothaarige mit so heller Haut, dass ihre blauen Adern an den Schläfen und unter ihren dunkelbraunen Augen durchschimmern.
»Du hast ja eine ganz schöne Spur hinterlassen.« Sie lächelt mich mit grimmiger
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