Romeo für immer, Band 02
1
VERONA, ITALIEN, 1304
Romeo
Wir erreichen die einsame Hügelkuppe über Verona bei Sonnenuntergang. Das goldene Sonnenlicht verwandelt sich in ein tiefes Rot, das sich über die ganze Stadt legt und bis in den hintersten Winkel dringt. So rot wie das Blut, das aus der Wunde in ihrer Brust auf die stummen, kalten Steine der Grabkammer tropft, die mein schreckliches Geheimnis für immer bewahren wird.
Julia ist tot; ihr Blut klebt an meinen Händen.
Ich verberge sie unter meinem Umhang. Immer noch spüre ich ihr Blut auf meiner Haut, warm, klebrig und feucht. Mit meinen befleckten Händen kann ich kaum den Dolch halten, den ich bei mir trage, weil Bruder Lorenzo darauf bestanden hat. Das Blut an meinen Händen ist alles, was mir von meiner Liebsten bleibt, dem Mädchen, das ich getötet habe. Mein Herz pocht schmerzhaft in meiner Brust. Aber ich habe kein Recht, mich zu beklagen. Ich habe ewiges Leid verdient.
Und so folge ich Bruder Lorenzo, dem Franziskanermönch, über den windumtosten Hügel, dorthin, wo die Armen und die Gottlosen ihre Toten begraben. Ich folge ihm, obwohl ich glaube, dass dieser Mönch, dem ich das Leben meiner Liebsten anvertraut habe, ein Lügner ist. Und mein Feind.
Vielleicht ist er sogar Schlimmeres als ein Feind. Möglicherweise habe ich einen Pakt mit dem Teufel selbst geschlossen, mit Luzifer.
»Unter diesen Steinen liegt der Leichnam, der deinem Zweck dienen wird«, ächzt der Mönch, als er sich neben der Grabstätte ins feuchte Gras sinken lässt. Es ist das Grab eines einfachen Bauern. Man hat seinen Leichnam mit schweren Steinen bedeckt, um die wilden Tiere fernzuhalten. »Am Anfang ist es leichter, wenn der Leichnam frisch ist.«
Ich lege den Dolch auf den Boden und beginne damit, die Steine einzeln abzutragen. Mein Blick haftet dabei auf meinen blutbefleckten Händen. Es ist Julias Blut, das auf meinen Händen zu einer dunkelbraunen zweiten Haut getrocknet ist, die jetzt rissig wird und von meinen Händen abplatzt, während ich die Steine anhebe. Der Wind weht scharf über den Hügel und nimmt das geronnene, abgeblätterte Blut mit sich fort. Wieder packt mich das Grauen.
Wie konnte ich so etwas tun? Wie konnte ich nur solch ein Narr sein?
Der Mönch hatte geschworen, dass mein Verrat sich als Segen entpuppen und meine Tat Julia den Weg in den Himmel ebnen würde. Sie würde mit den Engeln tanzen. Und sie würde wissen, dass sie allein durch mein Opfer in das Land des ewigen Frühlings gelangt war. Julia würde weinen, weil sie mich verlassen musste, aber mich dafür umso mehr lieben, weil ich den Preis dafür bezahlt hatte.
Ich hatte geglaubt, eine kluge und edle Wahl getroffen zu haben. Julia und ich, wir hatten weder Geld noch Freunde. Nur der Tod wartete auf uns. Wenn nicht auf dem Weg nach Mantua, dann spätestens in den Armenvierteln dieser uns unbekannten Stadt. Wir waren beide von adliger Herkunft und wussten nicht, wie man sein Leben allein meistert und auf eigenen Füßen steht. Ich besitze keine sonderlichen Fertigkeiten, beherrsche kein Handwerk und gehöre keiner Zunft an. Nicht einmal eine Ziege, die ich melken, oder ein Stück Land, das ich bewirtschaften könnte, gehört mir. Der Tod war uns daher gewiss. Wir wären entweder verhungert oder im Schlaf erdolcht worden. Auch der Mönch sah es so. Er fand, dass ich meiner Liebsten einen Gefallen tat, wenn ich ihrem Leiden ein Ende bereitete, bevor es begonnen hatte, und ihren toten Körper zurückließ, damit sie in der Familiengruft beerdigt werden konnte.
Doch ich hätte davor zurückschrecken müssen, zumindest hätten mir Bedenken kommen sollen.
Aber die kamen mir nicht. Zweifel kamen mir erst, als Julia in meinen Armen lag und zum letzten Mal nach Luft schnappte. In ihren Augen stand keine Glückseligkeit, sondern Qual und Schmerz über meinen Verrat. Und ein unheilvolles Funkeln, als Hass in ihr entfachte. Julia starb voller Hass auf mich. Gott allein weiß, wo sie jetzt ist.
Seit frühester Kindheit wurde ich in dem Glauben erzogen, dass Selbstmord eine Sünde sei. Diejenigen, die ihrem Leben selbst ein Ende setzten, seien zu ewiger Verdammnis verurteilt. Ich hätte mich besser an die Kirchenpredigten erinnern sollen, statt einem verrückten Mönch zu glauben, der offen von schwarzer Magie und Weltuntergang sprach. Wie hatte ich nur die Seele meiner Geliebten aufs Spiel setzen und sie so sehr hintergehen können? Ich ließ sie in der Annahme, dass ich tot sei und die einzige Möglichkeit, mich
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