Ronja Räubertochter
Leid.
»Ihr wißt ja nicht, wie es ist wenn man ein Kind hat! Ihr wißt ja nicht wie einem zumute ist wenn man sein kleines Lieblingslamm verliert!« Dann verstummte er, denn ihm fiel ein, daß sie alle im Frühjahr Lämmchen bekommen hatten. Und was war aus ihnen geworden.,. Lammschlegel und Lammbraten aus fast allen!
Lovis gab ihrer Tochter fieberstillende Kräutersäfte zu trinken, und nach drei Tagen war Ronja wieder gesund. Zu Mattis' Verblüffung und Freude. Ronja war wie immer, nur etwas nachdenklicher als früher. Während der drei Tage im Bett hatte sie viel nachgedacht. Was sollte jetzt werden? Mit Birk? Einen Bruder hatte sie bekommen, aber wann würde sie je wieder mit ihm Zusammensein können?
Nur in aller Heimlichkeit konnte es geschehen. Niemals konnte sie Mattis sagen, daß ein Borkaräuber ihr Freund geworden war. Das hieße, ihm mit einem Schmiedehammer auf den Schädel schlagen, nur noch viel ärger, er wäre völlig gebrochen und würde schlimmer toben, als man es je zuvor erlebt hatte. Ronja seufzte. Warum mußte ihr Vater so ungestüm in allem sein? Ob er froh war oder traurig oder zornig, stets war es das gleiche, so wild und maßlos war er, daß es für eine ganze Räuberbande gereicht hätte.
Ronja log ihren Vater nie an. Sie verschwieg nur manches, von dem sie wußte, es hätte ihn betrübt oder wütend gemacht oder beides zugleich. Und genau das würde geschehen, wenn sie ihm von Birk erzählte. Doch es half alles nichts, sie hatte nun mal einen Bruder bekommen, und dann wollte sie auch mit ihm Zusammensein, selbst wenn sie sich zu ihm hinschleichen mußte.
Aber wohin sollte sie schleichen in all dem Schnee? In den Wald konnte sie nicht, denn die Wolfsklamm war zu, und abgesehen davon fürchtete sie sich auch ein wenig vor dem Winterwald. Fürs erste hatte sie genug. Die Schneestürme heulten weiter um die Mattisburg. Es wurde von Tag zu Tag schlimmer, und schließlich sah Ronja ein, wie hoffnungslos es war. Erst im Frühjahr würde sie Birk wiedersehen können. Er war so weit fort von ihr, als wohnten sie tausend Meilen voneinander entfernt. Und daran war allein dieser Schnee schuld. Mit jedem Tag wurde sie verbitterter darüber, und die Räuber verabscheuten ihn nicht weniger gründlich. Einige mußten den Weg zur Quelle freischaufeln, wo man das Wasser holte. Sie lag auf halbem Weg zur Wolfsklamm, und es war harte Arbeit, sich bis dorthin durchzuschaufeln, während einem der Schnee um die Ohren wirbelte, und dann die schweren Kübel voll Wassser, das für Mensch und Vieh reichen mußte, zur Burg hinaufzuschleppen. Jeden Morgen gab es Hader und Streit darum, wer an der Reihe war.
»Ihr seid faul wie die Ochsen«, sagte Lovis. »Außer beim Kämpfen und Rauben, das geht euch flink von der Hand.«
Die faulen Räuber sehnten sich nach dem Frühling, wenn das Räuberleben wieder in Gang kommen würde. Die lange Wartezeit vertrieben sie sich damit, wieder und wieder Schnee zu schaufeln und Skier zu schnitzen und die Waffen zu reinigen, und die Pferde zu striegeln, und abends vor dem Feuer würfelten sie und tanzten ihre Räubertänze und sangen ihre Räuberlieder, wie sie es von jeher getan hatten. Ronja spielte und tanzte und sang mit ihnen, und genau wie die Räuber sehnte sie sich nach dem Frühling und nach ihrem Wald. Dann endlich würde sie Birk wiedersehen und mit ihm sprechen und sich vergewissern, daß er wirklich ihr Bruder sein wollte, wie er es damals im Schneetreiben versprochen hatte.
Doch warten war schwer, und Ronja haßte es, eingesperrt zu sein. Es machte sie rastlos, die Zeit wurde ihr lang, und darum stieg sie eines Tages hinab in die unterirdischen Gewölbe, wo sie schon lange nicht mehr gewesen war. Alte Gefangenenverliese waren etwas, das sie nicht mochte. Dort unten, eingesprengt in den Berg, gab es eine ganze Reihe davon. Glatzen-Per behauptete zwar, dort hätte nie jemand gefangen gesessen, nicht seit jenen uralten Zeiten, wo große Herren und Fürsten auf der Mattisburg geherrscht hatten, lange bevor sie zur Räuberburg geworden war. Und doch spürte Ronja, als sie in die modrige Kalte der Gewölbe stieg, daß an diesen Wänden noch immer etwas von dem Klagen und Seufzen der nun toten Gefangenen haftete, und es grauste ihr. Sie leuchtete mit ihrer Hornlaterne in die finsteren Höhlen, wo die Armen und Elenden gesessen hatten ohne Hoffnung, je wieder das Tageslicht zu erblicken. Eine Weile stand sie still da und grämte sich über alle Grausamkeiten, die in
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