Ronja Räubertochter
Stimme so gern, aber ich möchte dich auch sehen. Sind deine Augen noch immer so schwarz, wie sie waren?«
»Komm und guck nach«, sagte Ronja.
Weiter kam sie nicht. Denn jetzt hörte sie etwas, das ihr die Sprache verschlug.
Sie hörte, wie weit hinten die schwere Kellertür geöffnet wurde und dann krachend zufiel. Jemand kam die Treppe herab. Ja, da kam jemand, und wenn ihr nicht sofort etwas einfiel, was sie tun konnte, war sie verloren! Und Birk ebenfalls! Sie hörte die Schritte, sie kamen immer näher. Jemand kam langsam und unausweichlich den Gang entlang. Sie hörte es und wußte, was es bedeutete, und trotzdem blieb sie stehen wie ein Schaf, vor Schreck gelähmt. Erst als es schon fast zu spät war, kam endlich wieder Leben in sie, und sie flüsterte Birk hastig zu: »Bis morgen!«
Dann stürzte sie davon, dem entgegen, der dort kam. Wer es auch war, sie mußte verhindern, daß er entdeckte, was sie mit dem Geröllhaufen angestellt hatte.
Es war Glatzen-Per, und seine Augen leuchteten auf, als er sie sah.
»Wie ich dich gesucht habe!« sagte er. »Was im Namen aller Grausedruden treibst du denn hier?«
Sie packte ihn schnell beim Arm und machte mit ihm kehrt, bevor es unrettbar zu spät war.
»Man kann ja nicht ewig Schnee schaufeln«, sagte sie. »Komm, jetzt will ich hier raus.«
Und wahrhaftig, das wollte sie. Erst jetzt wurde ihr klar, was sie da getan hatte.
Sie hatte einen Weg zur Borkafeste gebahnt. Wenn Mattis das wüßte! Selbst wenn er nicht listig war wie eine alte Füchsin, so würde er doch begreifen, daß es nun endlich einen Weg und eine Möglichkeit gab, Borka zuüberrumpeln. Darauf hätte er selber schon längst kommen können, dachte Ronja, war aber heilfroh, daß es ihm nicht eingefallen war. Es war schon seltsam, jetzt wollte sie nicht mehr, daß man die Borkaräuber hinauswarf. Sie sollten bleiben, um Birks willen.
Birk durfte nicht hinausgeworfen werden. Wenn sie es verhindern konnte, würde kein einziger Mattisräuber auf dem Weg, den sie gebahnt hatte, in die Borkafeste eindringen. Deshalb mußte sie dafür sorgen, daß sich Glatzen-Per keine unnötigen Gedanken machte. Er schlurfte neben ihr her und sah verschmitzt aus, aber das tat er ja eigentlich immer. Man konnte glauben, er kenne alle Geheimnisse. Aber wie durchtrieben er auch war, so war Ronja diesmal noch schlauer. Ihr Geheimnis hatte er nicht entdeckt. Zumindest noch nicht.
»Nee, nee, man kann nicht dauernd Schnee schippen«, stimmte er ihr zu. »Aber würfeln, das kann man Tag und Nacht. Oder was meinst du, Ronja?«
»Ja, würfeln kann man Tag und Nacht, und besonders jetzt«, sagte Ronja und zog ihn eifrig die steile Kellertreppe hinauf.
Und sie würfelte mit Glatzen-Per, bis Lovis das Wolfslied sang. Aber die ganze Zeit über dachte sie an Birk. Morgen! Es war das letzte, was sie dachte, bevor sie an diesem Abend einschlief. Morgen!
7.
UND DANN KAM DER MORGEN. UND JETZT WOLLTE SIE ZU Birk.
Schnell wollte sie zu ihm. Sie mußte die kurze Zeit abpassen, wo sie allein in der Steinhalle war und die ändern ihren morgendlichen Pflichten nachgingen. Jeden Augenblick konnte Glatzen-Per auftauchen, und um seine Fragen wollte sie sich herumdrücken.
Essen kann ich ebensogut unter der Erde, dachte sie. Hier hat man ja doch keine Ruhe.
Geschwind stopfte sie Brot in ihren Lederbeutel und goß Ziegenmilch in ihre hölzerne Flasche. Und ohne daß jemand sie sah, verschwand sie nach unten in die Gewölbe. Kurz darauf stand sie vor dem Geröllhaufen.
»Birk«, rief sie voll Angst er könne nicht dasein. Niemand antwortete ihr hinter dem Steinhaufen, und ihre Enttäuschung war so groß, daß sie fast geweint hätte.
Wenn er nun nicht kam! Vielleicht hatte er es vergessen, oder schlimmer noch, vielleicht hatte er es sich anders überlegt. Schließlich war sie ja ein Mattisräuber und er ein Borkafeind. Wenn sie es recht bedachte, wollte er womöglich mit so einer nichts zu tun haben.
Plötzlich zog sie jemand von hinten am Haar. Sie schrie auf,so sehr erschrak sie.
Mußte er nun schon wieder hier herumschnüffeln, dieser Glatzen-Per, und ihr alles verderben! Aber es war nicht Glatzen-Per. Birk war es. Lachend stand er da seine Zähne leuchteten im Dunkeln. Viel mehr sah sie nicht von ihm im Schein ihrer Hornlaterne. »Ich warte schon lange«, sagte er.
Ronja spürte, wie die Freude in ihr aufflammte. Ach, sie hatte einen Bruder, der schon auf sie wartete! »Und ich erst«, sagte sie. »Ich warte schon, seit ich den
Weitere Kostenlose Bücher