Ronja Räubertochter
nichts«, sagte sie. »Aber ich will nicht, daß du hungrig bist.« Birk lachte.
»Woher weißt du, daß ich verlaust bin? Aber ja, klar bin ich das! Doch ich bin lieber verlaust als hungrig, das ist mal sicher.«
Er wurde ernst.
»Es gibt nichts Ärgeres als hungern. Aber ich hätte wenigstens einen Brotkanten für Undis aufheben sollen.« »Vielleicht kann ich mehr besorgen«, sagte Ronja nachdenklich.
Aber Birk schüttelte den Kopf.
»Nein, ich kann doch Undis kein Brot bringen, ohne ihr zu sagen, woher ich es habe. Und Borka würde außer sich geraten vor Wut, wenn er erfährt, daß ich Brot von dir annehme. Und obendrein noch dein Bruder geworden bin.« Ronja seufzte. Sie sah ja ein, daß Borka alle Mattisräuber ebenso verabscheuen mußte wie Mattis die Borkaräuber, aber ach, wie schwer dadurch alles für sie und Birk wurde!
Wir können uns nur heimlich treffen«, sagte sie betrübt, und Birk stimmte ihr zu.
So ist es! Und ich hasse Heimlichkeiten.« »Ich auch«, sagte Ronja. »Alter Klippfisch und zu lange Winter sind für mich das schlimmste. Aber noch schlimmer ist es, Schleichwege zu gehen, wenn es unnötig ist.« »Und du tust es trotzdem? Für mich? Aber zum Frühling wird es ja besser«, sagte Birk. »Da können wir uns im Wald treffen, nicht in diesem eiskalten Kellerloch.«
Sie froren beide, daß ihnen die Zähne klapperten, und schließlich sagte Ronja:
»Ich glaube, ich gehe jetzt lieber, bevor ich erfriere.« »Aber du kommst doch morgen wieder? Zu deinem verlausten Bruder?«
»Ich komme mit dem Lausekamm und noch so allerlei«, antwortete Ronja.
Und dieses Versprechen hielt sie. Solange der Winter dauerte, traf sie sich in den frühen Morgenstunden dort unten im Gewölbe mit Birk und hielt ihn am Leben mit Speis und Trank aus Lovis' Vorratskammer.
Bisweilen schämte sich Birk, daß er ihre Gaben annahm. »Ich finde, ich bestehle euch«, sagte er. Darüber lachte Ronja nur.
»Bin ich etwa keine Räubertochter? Warum soll ich da nicht stehlen?«
Übrigens wußte sie, daß ein gut Teil von dem, was Lovis in ihrer Vorratskammer aufbewahrte, reichen Krämern auf ihrer Keise durch die Wälder geraubt worden war.
»Ein Räuber nimmt, ohne groß zu fragen, so viel hab ich endlich gelernt«, sagte Ronja. »Also tu ich jetzt nur das, was man mich gelehrt hat. Iß du nur!«
Jeden Tag brachte sie ihm auch einen Beutel Mehl und einen mit Erbsen, die er heimlich unter Undis' Vorräte schmuggelte.
So weit ist es also mit mir gekommen, dachte Ronja, daß ich die Borkaräuber am Leben erhalte. Gnade mir Gott, wenn Mattis das erfährt!
Birk dankte ihr für ihre Freigebigkeit.
»Undis staunt jeden Tag darüber, daß sie in ihren Laden immer noch etwas Mehl und ein paar Erbsen findet Das muß irgendein Drudenzauber sein, meint sie«, sagte Birk und lachte, wie es seine Art war. Jetzt sah er fast wieder so aus wie früher, er hatte keine Hungeraugen mehr. Damit war Ronja höchst zufrieden.
»Und wer weiß«, sagte Birk, »vielleicht hat meine Mutter ja recht mit dem Drudenzauber, denn wie eine kleine Drude siehst du aus, Ronja.« »Aber lieb und ohne Klauen«, sagte Ronja. »Ja, lieb bist du, das ist mal sicher! Wie oft willst du mir noch das Leben retten, meine Schwester?« » Genausooft wie du meins rettest«, sagte Ronja. »Es ist einfach so, daß wir ohne einander nicht mehr sein können. Dass hab ich jetzt begriffen.« »Ja, so ist es«, sagte Birk. »Da mögen Mattis und Borka denken, was sie wollen.« Aber Mattis und Borka dachten gar nichts, weil sie von dem Geschwistertreffen unten in den Gewölben ja nichts wußten. »Bist du jetzt satt?« fragte Ronja. »Denn jetzt komme ich mit dem Läusekamm!«
Den Kamm wie eine Waffe erhoben, ging sie auf ihn zu. Die armen Borkaräuber, nicht einmal einen Läusekamm hatten sie in ihrer Armut. Um so besser! Ihr gefiel es, Birks weiches Haar unter ihren Händen zu spüren, und sie kämmte ihn länger, als es eigentlich nötig war.
»Jetzt bin ich wohl gründlich läusefrei«, sagte er. »Ich glaube, du kämmst mich ganz vergeblich.«
»Das wollen wir erst mal sehen«, sagte Ronja und fuhr ihm mit dem Kamm kräftig durchs Haar.
Allmählich wurde der strenge Winter etwas milder. Der Schnee begann nach und nach zu schmelzen, und als eines Tages die Mittagssonne schon richtig wärmte, jagte Lovis die Räuber nackt in den Schnee hinaus, damit sie sich wuschen und den ärgsten Schmutz loswurden. Sie weigerten sich und sträubten sich. So was sei
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