Ronja Räubertochter
Mittlerweile hatte Birk den Lachs geröstet. Und dies war nicht das letzte Mal daß sie Lachs aßen. Lange Zeit taten sie nichts anderes -sie aßen Lachs und schnitzten an ihren Näpfen. Die Holzklötze zuzuhauen war nicht so schwer. Dabei wechselten sie sich ab, und keiner verletzte sich. Bald hatten sie fünf prächtige Klötze, die nur darauf warteten, zu Näpfen ausgehöhlt zu werden. Denn so viele Näpfe wollten sie haben, das stand fest. Doch schon am dritten Tag fragte Ronja:
»Du, Birk, was findest du schlimmer? Gebratenen Lachs oder Blasen an den Händen?«
Darauf konnte Birk nicht antworten, denn das eine war genauso widerwärtig wie das andere.
»Aber eins weiß ich. Wir hätten so was wie ein Stemmeisen mitnehmen müssen. Mit dem Messer allein ist es eine Schinderei.«
Aber sie hatten kein anderes Werkzeug, und so wechselten sie sich mit dem Kratzen und Schaben ab, bis sie endlich etwas zustande gebracht hatten, das einem Napf glich.
»Mehr davon mach ich mein Lebtag nicht«, sagte Birk.
»Jetzt muß ich das Messer nur noch ein letztes Mal wetzen. Gib's her!«
»Das Messer?« fragte Ronja.
»Das hast du.«
Birk schüttelte den Kopf.
»Nein, du hast es zuletzt gehabt. Gib's her!«
»Ich habe kein Messer«, sagte Ronja.
»Hörst du nicht, was ich sage?«
»Wo hast du's gelassen? «
Ronja wurde zornig.
»Wo hast du's gelassen? Du hast es doch zuletzt gehabt!«
»Das ist gelogen«, sagte Birk. Stumm und verbittert suchten sie nach dem Messer. Überall in der Grotte und draußen auf der Felsplatte. Und wieder in der Grotte und wieder draußen. Aber es war nicht da. Birk sah Ronja mit kaltem Blick an.
»Ich habe dir doch gesagt, ohne Messer überlebt man nicht im Wald, oder?«
»Dann hättest du besser darauf achtgeben müssen«, antwortete Ronja.
»Außerdem bist du ein Hosenschisser, der ändern das in die Schuhe schiebt, was er selber ausgefressen hat.«
Birk wurde weiß vor Zorn.
»Schau an! Du bist also wieder die alte Räubertochter! Das merke ich. Und mit dir soll ich zusammenleben!«
»Das brauchst du nicht, Borkaräuber«, sagte Ronja.
»Leb du doch mit deinem Messer zusammen! Falls du es findest. Und überhaupt, scher dich zum Donnerdrummel!«
Sie verließ ihn mit Zornestränen, die ihr aus den Augen schössen. Jetzt wollte sie nur noch in den Wald, damit sie ihn nicht mehr sah. Nie mehr wollte sie ihn wiedersehen, nie mehr auch nur ein Wort mit ihm sprechen! Birk sah sie davonlaufen. Das ärgerte ihn nur noch mehr, und er schrie ihr nach:
»Die Wilddruden sollen dich holen! Da gehörst du hin!«
Sein Blick fiel auf das Moos, das dort zum Trocknen lag. Es war Ronjas dummer Einfall gewesen, und voll Wut stieß er es weg. Unter dem Moos lag das Messer. Birk starrte lange darauf, bevor er es aufhob. Sie hatten das Moos doch so gründlich durchsucht. Wie konnte das Messer jetzt da liegen, und wessen Schuld war es, daß es dort lag? An dem Moos war jedenfalls Ronja schuld, so viel wußte er. Außerdem war sie verrückt und dumm und unausstehlich. Sonst wäre er ihr nachgelaufen und hätte ihr gesagt, daß das Messer wieder da sei. Aber von ihm aus konnte sie sich gern im Wald herumtreiben, bis sie genug davon hatte und wieder zur Vernunft gekommen war. Er wetzte das Messer, und es wurde scharf. Dann wog er es in der Hand und spürte, wie gut es darin lag. Ein herrliches Messer war es, und es war nicht mehr verschwunden. Verschwunden war nur sein Zorn. Der war verraucht, während er mit dem Messer hantierte. Dann konnte er ja jetzt zufrieden sein. Jetzt hatte er ja sein Messer. Aber Ronja war fort. Spürte er deshalb ein so seltsames Nagen in der Brust?
»Leb du doch mit deinem Messer zusammen!«
Das hatte sie ihm zugerufen! Jetzt überkam ihn der Zorn aufs neue. Aber wo wollte sie eigentlich bleiben? Nicht, daß es ihn etwas anging, sie konnte rennen und rasen, wohin sie wollte, und wenn sie nicht zurückkam, und das bald, war sie selber schuld. Dann war ihr die Bärenhöhle ohne Erbarmen verschlossen. Das hätte er ihr gern gesagt. Doch er hatte nicht die Absicht, ihr deshalb in den Wald nachzulaufen. Früh genug würde sie schon wieder auftauchen und bitten und betteln und zurückkommen wollen, dann konnte er es ihr immer noch sagen.
»Du hättest früher kommen müssen! Jetzt ist es zu spät.«
Er sagte es laut, um zu hören, wie es klang, und ihn schauderte. Was für Worte zu der, die doch seine Schwester war! Aber sie hatte es ja selber so gewollt. Er hatte sie nicht
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