Ronja Räubertochter
mit seiner Armbrust und allerlei anderen Dingen aus dem Baumversteck. Er reihte alles auf der Felsplatte vor der Höhle auf, um Ronja zu zeigen,was er hatte. Eine Axt, einen Wetzstein, einen kleinen Kessel, Fischfanggeräte, Schlingen zum Vogelfang, Pfeile für die Armbrust und einen kurzen Speer, alles unerläßliche Dinge für den, der im Wald leben will.
»Ich sehe, du weißt, was wir Waldmenschen alles können müssen«, sagte Ronja.
»Essen beschaffen und uns gegen die Wilddruden und Raubtiere wehren.«
»Natürlich weiß ich das«, sagte Birk,
»natürlich werden wir...«
Weiter kam er nicht, denn Ronja packte ihn heftig beim Arm und flüsterte erschrocken:
»Still! Da ist jemand in der Höhle.«
Sie hielten den Atem an und lauschten. Ja, in ihrer Höhle war jemand, einer, der die Gelegenheit benutzt hatte, sich einzuschleichen, während sie fortgewesen waren. Birk griff nach seinem Speer, und sie standen ganz still und horchten. Jetzt hörten sie, daß sich dort drinnen jemand bewegte, und es war unheimlich, nicht zu wissen, wer es war. Außerdem klang es jetzt, als seien es viele. Vielleicht war die ganze Grotte voller Wilddruden, die ihnen dort auflauerten, und plötzlich herausgeflogen kamen und sie mit ihren Klauen packten.
Schließlich hielten sie das Warten und Lauschen nicht länger aus.
»Kommt raus, ihr Wilddruden!«
schrie Birk.
»Kommt, wenn ihr den schärfsten Speer im Wald sehen wollt.«
Doch es kam niemand heraus. Jetzt hörten sie drinnen ein wütendes Fauchen.
»Mensch hier im Graugnomenwald! Graugnomen alle, beißt und schlagt zu!«
Da sprühte Ronja vor Zorn. Raus mit euch, Graugnomen!« schrie sie.
»Schert euch zum Donnerdrummel, und das auf der Stelle! Sonst komm ich und reiß euch die Haare aus!«
Und aus der Grotte hervorgewimmelt kamen Graugnomen. Sie fauchten und zischten Ronja an, aber sie fauchte zurück, und Birk drohte ihnen mit seinem Speer. Da machten sich die Gnomen Hals über Kopf bergab davon. Sie kletterten und krabbelten den Steilhang zum Fluß hinunter. Viele verloren den Halt und plumpsten mit wütendem Gepiepse in das strudelnde Wasser.
Schließlich trieben ganze Trauben von Graugnomen auf dem Fluß, bis es ihnen gelang, sich mühsam an Land zu ziehen.
»Schwimmen können sie gut, diese Unholde«, sagte Ronja.
»Und Brot essen auch«, sagte Birk, als er in der Höhle feststellte, daß die Gnomen ihnen einen ganzen Laib Brot weggefressen hatten. Weitere Schandtaten hatten sie nicht verüben können, aber es war schon schlimm genug, daß sie dagewesen waren.
»Das gefällt mir gar nicht«, sagte Ronja.
»Denn bald zischelt und tuschelt es im ganzen Wald von ihrem Geschwätz, und bald weiß jede Wilddrude, wo wir zu finden sind.«
Aber im Mattiswald durfte man sich nicht fürchten, das hatte Ronja von klein auf gehört. Und sich im voraus Sorgen machen war einfach dumm, das fanden beide, Birk und sie. Also verstauten sie in aller Ruhe ihren Essensvorrat und ihre Waffen und Werkzeuge in der Grotte. Danach holten sie Wasser von einer Quelle im Wald und legten im Fluß ein Netz aus zum Fischefangen. Vom Flußufer trugen sie flache Steine herbei und bauten sich auf der Felsplatte einen Herd. Dann machten sie weite Wege, um Wacholderholz für Ronjas Bogen zu suchen. Da sahen sie auf der Lichtung die Wildpferde grasen. Sie versuchten, sich Racker und Wildfang mit freundlichen Worten zu nähern, doch das brachte ihnen nichts ein. Weder Racker noch Wildfang hatten etwas übrig für Freundlichkeit. Mit leichten Sprüngen verschwanden sie, um woanders zu grasen, dort, wo man sie in Ruhe ließ. Den Rest des Tages saß Ronja vor der Grotte und schnitzte ihren Bogen und dazu zwei Pfeile. Für die Bogensehne opferte sie ein Stück ihres Riemens. Danach übte sie lange und eifrig Bogenschießen, und schließlich hatte sie beide Pfeile verschossen. Sie suchte sie bis zum Dunkelwerden, dann mußte sie es aufgeben. Aber es betrübte sie nicht sehr.
»Morgen schnitze ich mir neue.«
»Und du gibst gut acht auf das Messer«, sagte Birk.
»Ja, ich weiß, es ist das Kostbarste, was wir haben. Das Messer und die Axt.«
Erst jetzt merkten sie, daß sie Hunger hatten. Der Tag war im Umsehen vergangen, sie waren unablässig beschäftigt gewesen. Sie waren gewandert und gelaufen, sie hatten getragen und geschleppt und geschafft und geschuftet und keine Zeit gehabt, Hunger zu spüren. Jetzt aber aßen sie sich proppenvoll an Brot und Ziegenkäse und gedörrtem
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