Ronja Räubertochter
sonst verblutet sie!«
Aber was ist mit dir? Du kannst nicht hierbleiben, wo der Bär noch in der Nähe ist.«
»Lauf!« schrie Ronja.
»Ich muß bei der Stute bleiben, sie braucht Trost. Und Weißmoos! Aber schnell!«
Und Birk lief. Während er fort war, hielt Ronja den Kopf der Stute in ihren Händen und murmelte tröstende Worte, so gut sie es konnte. Und die Stute stand ganz still, als höre sie ihr zu. Sie wieherte nicht mehr, vielleicht fehlte ihr die Kraft dazu. Hin und wieder ging ein heftiges Zittern durch ihren Körper. Es war eine schreckliche Wunde, die der Bär gerissen hatte. Die arme Stute, sie hatte versucht, ihr Fohlen zu verteidigen, aber jetzt war es tot. Und vielleicht spürte sie, wie das Leben auch aus ihr heraustropfte, langsam und unerbittlich. Es dunkelte schon, bald würde die Nacht kommen, und einen Morgen würde sie nie wiedersehen, falls Birk nicht rechtzeitig kam. Aber er kam, den Arm voll Weißmoos. Nie war Ronja sein Anblick so lieb gewesen, das würde sie ihm einmal sagen, aber nicht jetzt. Jetzt war es eilig. Gemeinsam preßten sie Weißmoos auf die Wunde und sahen, wie schnell es von Blut durchtränkt wurde. Sie legten noch mehr Moos darauf und banden es mit ihren Riemen über der Brust der Stute fest. Die Stute stand ganz still und ließ es geschehen, als verstehe sie, was die beiden da taten. Unvermutet steckte jetzt ein Rumpelwicht seinen Kopf hinter einer Fichte hervor, und er verstand es nicht.
»Wiesu tun sie su?« murmelte er düster. Ronja und Birk freuten sich, als sie den Wicht sahen, jetzt wußten sie, daß der Bär sich davongemacht hatte. Denn Bären und Wölfe scheuten alles, was zum Dunkelvolk gehörte. Rumpelwichte und Dunkeltrolle, Druden und Graugnomen, sie alle hatten von Raubtieren nichts zu befürchten. Allein der Geruch des Dunkelvolkes genügte, daß sich der Bär still in den tiefen Wald zurückzog.
»Fühlen, da duck«, sagte der Rumpelwicht.
»Ist fürt! Hupst nicht mehr!«
»Das wissen wir«, sagte Ronja traurig. Sie blieben die ganze Nacht bei der Stute. Nachtwache und Nachtkälte wurde daraus, aber es machte ihnen nichts aus. Sie hockten nebeneinander unter einer dichten Fichte, und sie sprachen über vielerlei, nur nicht über ihren Streit. Es war, als hätten sie ihn vergessen. Ronja versuchte zu erzählen, wie der Bär das Fohlen getötet hatte, doch sie verstummte bald. Es war zu schwer.
»So was geschieht im Mattiswald und in allen Wäldern«, sagte Birk. Mitten in der Nacht erneuerten sie das Moos auf der Wunde, danach schliefen sie eine Weile und erwachten, als es hell wurde.
»Schau, die Wunde blutet nicht mehr«, sagte Ronja.
»Das Moos ist trocken.«
Sie machten sich auf den Heimweg zur Grotte. Die Stute führten sie zwischen sich, denn sie durften sie nicht allein lassen. Schlimm und schwer war es für das arme Tier, aber es folgte ihnen willig.
»Auf Berge steigen, das kann sie nicht einmal, wenn sie gesund ist«, sagte Birk.
»Wo wollen wir sie lassen?«
Unweit der Grotte, verborgen zwischen Fichten und Birken, laß die Quelle, wo sie das Wasser holten. Dorthin führten sie die Stute.
»Trink, dann kriegst du neues Blut«, sagte Ronja. Die Stute trank lange in tiefen Zügen. Danach band Birk sie an einen Baum.
»Sie muß hierbleiben, bis die Wunde geheilt ist. Hier ist sie sicher.«
Ronja streichelte die Stute.
»Nimm's nicht so schwer«, sagte sie.
»Nächstes Jahr bekommst du ein neues Fohlen.«
Da sah sie, daß Milch aus dem Euter tropfte.
»Diese Milch war für dein kleines Fohlen bestimmt«, sagte Ronja.
»Aber jetzt kannst du sie uns geben.«
Sie holte den Holznapf aus der Grotte. Jetzt konnte sie ihn gut brauchen. Und sie melkte die Stute, der Napf wurde voll. Für die Stute war es eine Wohltat, daß das pralle Euter nun leer war. Und Birk freute sich über die Milch.
»Jetzt haben wir ein Haustier«, sagte er, »und wir müssen ihm einen Namen geben. Wie soll die Stute heißen? Was meinst du?«
Ronja überlegte nicht lange.
»Sie soll Lia heißen. Als Mattis klein war, hatte er eine Stute, und die hieß so.«
Beide waren sich einig, daß es ein guter Name für eine Stute war. Eine Stute, die nicht zu sterben brauchte. Lia würde am Leben bleiben, das sah man schon jetzt. Sie rupften Gras und brachten es ihr, und Lia fraß gierig. Da spürten sie den eigenen Hunger, jetzt mußten sie heim in die Bärenhöhle und ihn stillen. Als sie Lia verließen, wandte sie den Kopf und sah ihnen beunruhigt
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