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Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort

Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort

Titel: Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mirjam Mous
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meine«, sagte ich. »Wofür hast du dich geschämt?«
    Er ahmte mich nach: »Das sind zwei Fragen.« Dann trank er von dem Whisky und reichte die Flasche an Val.
    Trotz meines Ärgers musste ich lachen.
    »Eins zu eins.« Val hob die Flasche. »Pflicht«, sagte sie, »das hatten wir noch nicht.«
    »Ich würde dich gern mal knutschend erleben«, sagte Stefano.
    Ich empfand eine leichte Erregung. Okay, meinen ersten Kuss mit Val hatte ich mir anders vorgestellt – als Erstes schon mal viel privater und vielleicht sogar mit Kerzen oder Mondschein dazu, weil das Mädchen wohl mögen –, aber ach, wenn das Stefanos Art war, seine kleine Schikane von vorhin wiedergutzumachen…
    Er rutschte näher zu Val. »Mit mir.«

26
    Zeit: zwei Wochen und zwei Tage früher
Ort: Santa Pol – Spanien
    Meine Aufregung schlug in Widerwillen um. »Du Schwein! Schon mal was von Inzest gehört?«
    Zu meiner Erleichterung dachte Val genauso wie ich darüber. »Bist du jetzt völlig durchgeknallt oder was?« Sie stieß ihm ihren Ellenbogen in die Rippen. »Ich will doch keinen Zungenkuss von meinem eigenen Bruder?«
    »Aua! Nur die Ruhe.« Er wurde rot. »War doch bloß ein Scherz.«
    Ich sah jedenfalls niemanden lachen.
    »Kann ich was dafür, dass ihr keinen Sinn für Humor habt?«
    Val ignorierte ihn und sah mich an. »Denk du dir mal was Normales aus.«
    Ehrlich gesagt hatte ich durchaus noch Lust auf diesen Kuss – schließlich waren Val und ich nicht miteinander verwandt –, aber sogar ich begriff, dass ich dieses Thema vorläufig lieber meiden sollte. Also versuchte ich, mir etwas weniger Sensibles auszudenken.
    »Singen«, sagte ich. »Sing ein Lied, das dir gefällt.«
    »Gut.« Sie strich sich die Haare aus dem Gesicht. »Jueves. Das Lieblingslied meines Vaters.« Mit angewinkelten Beinen, die Whiskyflasche auf ihrem rechten Knie, begann sie, ganz leise auf Spanisch zu singen. Ihre Stimme war nicht besonders schön und manchmal traf sie den Ton auch nicht richtig. Trotzdem bekam ich einen Kloß in den Hals, wie sonst manchmal, wenn ich einen coolen Sportler sehe, der weint, weil er eine Goldmedaille gewinnt.
    Das Lied war zu Ende. Alle schwiegen. Nur das Wasser blubberte.
    »Schön«, sagte ich. »Wovon handelte es?«
    Val nahm einen Schluck. »Die Zuganschläge in Madrid, 2004.«
    Damals war ich noch keine zehn. Ich konnte mich kaum noch daran erinnern.
    »Onkel Raoul war dabei«, sagte Stefano.
    »Er hat es zum Glück überlebt.« Val hatte Stefano den Vorfall von eben offenbar vergeben und drückte seine Hand. »Kommt, wir sind hier doch nicht auf einer Beerdigung«, sagte sie dann. »Fin, du bist dran.«
    Ich wollte kein Risiko eingehen, dass Stefano unangenehme Fragen stellte. »Pflicht.«
    »Eine Runde durch den Garten rennen«, sagte Val.
    Stefano nickte. »Aber wie ein Gorilla.«
    Wie alt war der Typ? Drei?
    Widerwillig stand ich auf und trommelte mir mit den Fäusten auf die Brust. Dann stieg ich aus dem Whirlpool und lief mit krummen Beinen und schwingenden Armen über die Fliesen.
    »Affen laufen auf vier Beinen!«, rief Stefano.
    »Jaja.«
    Nervensäge.
    Ich stolperte auf Händen und Füßen weiter, während ich mir vorsagte, dass es nur ein Spiel war. Nicht, dass es was geholfen hätte. Ich fühlte mich erniedrigt und zum Gespött gemacht.
    Es geschah beim Kellerfenster. Die Scheibe war kaputt und ich sah zu spät, dass Glas auf dem Boden lag.
    »Fuck!« Ich ließ mich auf die Knie fallen und betrachtete meine rechte Hand, in der eine Scherbe steckte.
    »Was ist los?«, fragte Val.
    Ich zog das Glas heraus und zeigte ihr den Schnitt. Das Blut pulste aus der Wunde und floss in Richtung Handgelenk. Auf Val wirkte das wie ein rotes Tuch auf einen Stier. Sie gab Stefano die Whiskyflasche, kletterte so schnell wie möglich aus dem Whirlpool und rannte zu mir.
    »Pass auf!«, rief ich. »Sonst trittst du dir auch noch was in den Fuß.«
    Sie eilte in die Küche und kam in ihren Cowboystiefeln wieder zurück, bewaffnet mit einem sauberen Geschirrtuch, einem Verbandskasten und meinen Badelatschen. »Anziehen.«
    Sobald ich die Flipflops an den Füßen hatte, nahm sie mich mit zu einer sicheren Stelle auf der Wiese und begann, das Blut mit dem Geschirrtuch aufzutupfen. Dann wollte sie die Wunde desinfizieren, aber das Jodfläschchen war fast leer.
    »Stef, die Whiskyflasche!«, rief sie.
    Ich musste an einen Kriegsfilm denken, den ich vor Kurzem gesehen hatte. Es gab keine echten Medikamente, um den Schmerz zu bekämpfen,

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