Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
niedriger Schrank an der Wand, auf dem sich die Post stapelte. Stefanos Rucksack lag daneben. Wir gingen durch das dunkle Wohnzimmer. Es war vollgestopft mit großen, altmodischen Eichenholzmöbeln, aber an der Wand hing ein moderner TV-Flachbildschirm. Onkel Raoul mochte offensichtlich luxuriöse Gerätschaften, denn die Wohnküche war mit den modernsten Geräten versehen, einschließlich Luxus-Mikrowelle, und der Kühlschrank hatte sogar eine eingebaute Eiswürfelmaschine. Am genialsten war aber der Whirlpool im Garten.
»Nicht schlecht«, sagte ich. »Hier können wir es wirklich eine Weile aushalten.«
Val teilte die Schlafplätze ein. Für sich selbst hatte sie das Zimmer ihres Onkels auserkoren, das mit dem meisten Platz und dem Doppelbett. Ich bekam das Gästezimmer, in dem ein Einzelbett stand, und Stefano musste unten auf dem Sofa schlafen. Ich erwartete eine übellaunige Bemerkung, aber zu meinem Erstaunen nahm er es gelassen hin. Er interessierte sich mehr für den Inhalt der Tiefkühltruhe. »Mikrowellen-Mahlzeiten für mindestens eine Woche.« Er schaute in den Kühlschrank. »Und Bier! Onkel Raoul weiß genau, was wir brauchen.«
Wir zogen unsere Badesachen an, denn wir wollten natürlich sofort den Whirlpool ausprobieren. Stefano und ich hockten schon im Wasser, als Val hinauskam.
»Schaut mal, was ich gefunden habe.« Sie hielt etwas hinter ihrem Rücken. »Tataaa!«
Es war eine Flasche Whisky.
»Ist das denn okay?«, fragte ich.
Weil ich ja wusste, dass Alkohol die Entwicklung junger Gehirne beeinträchtigte, trank ich höchstens mal ein Bierchen. Na ja, vor allem aber auch, weil meine Mutter geschworen hatte, dass sie mich umbringen würde, wenn ich vor meinem achtzehnten Lebensjahr etwas Stärkeres trinken würde.
»Megaschisser. Man lebt nur einmal.« Stefano streckte die Hand aus und machte Schmatzgeräusche. »Her mit der Flasche.«
»Nicht so ungeduldig.« Val stieg in den Whirlpool und ließ sich ins Wasser gleiten. »Ich habe Lust auf ein Spielchen.«
»Oh, nicht schon wieder, oder?« Stefano warf mir einen Blick zu und rollte die Augen.
»Wahrheit oder Pflicht. Ich fang an.« Val drehte am Verschluss der Flasche. »Wahrheit.«
Stefano dachte kurz nach. »Angenommen, du kannst einen Haufen Geld bekommen. Eine Million oder so. Aber im Gegenzug musst du etwas Gefährliches tun. Traust du dich das?«
»Für eine Million traue ich mich alles. Auch, wenn ich mich in eine Badewanne mit lebendigen Skorpionen legen müsste. Danach braucht man jedenfalls nie mehr zu arbeiten.« Val nahm einen Schluck Whisky. »Jetzt du.« Sie drückte mir die Flasche in die nassen Finger.
Wenn ich nicht mitmachte, würde sie denken, ich sei noch ein Kleinkind. Und von einem Kleinkind würde sie wohl kaum etwas wollen.
»Ähem… Wahrheit.«
»Hast du schon einmal Alkohol getrunken?«, fragte Stefano.
Ich nickte.
»Bist du schon einmal so besoffen gewesen, dass du dich am nächsten Morgen an nichts erinnern konntest?« Er machte dabei ein Gesicht, als wäre das besonders lustig.
»Das sind zwei Fragen«, sagte ich.
Val nickte. »Fin hat recht. Er hat sich schon einen Schluck Whisky verdient.«
Meine Mutter konnte mich nicht sehen. Außerdem wäre es schon eine beachtliche Leistung, wenn es ihr gelänge, aus Amerika einen Blitz auf mich abzufeuern.
Ich führte die Flasche zum Mund und nahm einen Schluck.
Der Blitz kam tatsächlich. Er traf mich voll in der Kehle, bohrte sich in meine Speiseröhre und setzte dort alles in Brand. Die Tränen schossen mir in die Augen und ich hustete wie ein alter Kettenraucher.
Stefano lachte mich aus vollem Hals aus. »Lügner. Du hast also wirklich noch nie Alkohol getrunken.«
Ich reichte ihm die Flasche, obwohl ich sie lieber dazu benutzt hätte, ihm eins rüberzuziehen. »Doch. In Bier ist auch Alkohol.«
Er lachte, bis Val ihm unter Wasser einen Tritt verpasste. »Sei nicht so kindisch. Los, du bist dran.«
Er rieb sich über den Knöchel. »Okay, Schwesterherz. Wahrheit.«
»Denk du dir ruhig eine Frage für Stefano aus«, sagte Val zu mir. »Dann kannst du dich rächen.«
Ich brauchte nicht lange nachzudenken. »Wann in deinem Leben hast du dich am allermeisten geschämt?«
Ich hoffte, dass er sich mal schrecklich vor seinen Freunden blamiert hatte. Oder noch besser, vor einem Mädchen. Ich freute mich jetzt schon diebisch.
»Wenn ich mich nicht irre, war das am 6. November 2009«, antwortete er ungerührt.
»Ja, haha, du weißt genau, was ich
Weitere Kostenlose Bücher