Room 27 - Zur falschen Zeit am falschen Ort
hatten, nach Vietnam, Mali, Peru und noch ein paar mehr dieser Länder. Diese Leute hatten echt ein cooles Leben, bevor das Baby dem Ganzen ein Ende gemacht hatte – Rafting, zwischen wilden Tieren herumlaufen, mitten in der Wüste ein Konzert anhören und noch viel mehr.
Der Mann musste pinkeln und hielt an einer Tankstelle. Die Frau wollte im Shop etwas kaufen und bat uns, kurz auf das Baby aufzupassen.
»Kannst du Auto fahren?«, fragte Val, als wir allein waren.
»Keine Ahnung. Ich habe es noch nie versucht.«
Sie nickte zu den Autoschlüsseln hinüber, die in der Zündung steckten. »Das ist deine Chance.«
Ich grinste. »Bonnie und Clyde.«
Val sorgte sofort für eine spannende Hintergrundmusik. Dudududu.
»Sie machen sich mit einem Rucksack voller Geld, einem gestohlenen Wagen und einem entführten Baby auf dem Rücksitz davon«, sagte ich mit so einer Filmtrailer-Stimme.
Obwohl Val keine Filme mochte, musste sie doch lachen. »Auf zum nächsten Überfall.« Sie heulte wie eine Gitarre. Ich trommelte dazu.
Val verwandelte sich in eine Headbangerin. Ihre Haare flogen hin und her. »Dengdengdeng!«
Das Baby war offensichtlich nicht so scharf auf Heavy Metal, denn es begann, fürchterlich zu schreien.
»Ach, halt doch die Klappe«, sagte Val.
Wahrscheinlich war es doch besser, wenn wir uns später nicht für Kinder entschieden.
Sie suchte zwischen den Beinen des Babys, zog triumphierend den Schnuller hervor und stopfte ihn in den kreischenden Mund. Noch ein paar Hickser, dann wurde es still.
»Wie viel Lösegeld würden sie wohl zahlen?«, fragte Val, noch immer in Bonnie-Manier. »Um ihr entführtes Baby zurückzubekommen, meine ich.«
»Ich will Moos, unter ’ner Million geht gar nichts los«, rappte ich.
»Ich glaube nicht, dass sie die haben. So reich sehen sie nicht aus.«
Die Frau kam mit Erfrischungsgetränken in Dosen, einer Tüte Bonbons und vorverpackten Sandwiches wieder zum Vorschein.
»Zu spät«, maulte Bonnie.
Ein paar Minuten später waren wir wieder unterwegs. Die Frau reichte uns die Bonbontüte.
»Dürfte ich wohl einmal ihr Handy leihen, um meinen Bruder anzurufen?«, fragte Val, während sie sich ein Karamellbonbon aussuchte. »Meins ist im Rucksack.«
Sie tippte Stefanos Nummer ein und begann, lebhaft zu reden. Ärgerlicherweise sprach sie spanisch.
»Er ist in Santa Pol«, sagte sie, als sie fertig war. »Wir übernachten bei Onkel Raoul.«
25
Zeit: zwei Wochen und zwei Tage früher
Ort: Santa Pol – Spanien
An einer Bushaltestelle stiegen wir aus. Die Frau blieb im Auto sitzen und wünschte uns noch einen schönen Urlaub. Das Baby ließ den Schnuller aus dem Mund flutschen und schrie. Ich schlug schnell die Autotür zu. Dann lieber einen schlagzeugspielenden Nachbarn.
Der Mann öffnete den Kofferraum für uns, damit wir unsere Rucksäcke herausholen konnten. Er gab uns die Hand.
»Gute Weiterreise.«
Ich nickte. »Danke.«
Wir nahmen den Stadtbus nach Otus, das wohl grünste Viertel von Santa Pol und vielleicht sogar von ganz Spanien. Man konnte es schon in der Ferne liegen sehen, wie eine Oase in der Wüste. Die Böschungen an der Straße waren noch gelb, aber in den Gärten rund um die frei stehenden Häuser hatten Gras und Büsche die gleiche Farbe wie die Tischbespannung in dem Billardcafé, das ich manchmal mit Tom und Menno besuchte. Mit der Wassermenge, die hier zum Sprengen benutzt wurde, konnte man wahrscheinlich zehn Millionen Afrikaner vor dem Verdursten retten.
Stefano saß an der Bushaltestelle und wartete auf uns.
»Weiß dein Onkel eigentlich, dass ich mitkomme?«, fragte ich, als wir ausgestiegen waren. »Er ist bestimmt nicht scharf auf fremde Übernachtungsgäste.«
»Onkel Raoul ist nicht zu Hause«, sagte Val. »Er ist wegen seiner Arbeit in Australien.«
Stefano nickte. »Aber für ihn ist es gar kein Problem, wenn wir in seinem Haus sind.«
»Habt ihr denn einen Schlüssel?«
»Onkel Raoul lässt immer einen Reserveschlüssel bei seinen Nachbarn«, antwortete Val. »Für den Fall, dass Freunde oder Familie sein Haus nutzen wollen.«
»Und ich habe ihn schon abgeholt.« Stefano hielt ihn wie eine Trophäe hoch. »Wir dürfen so lange bleiben, wie wir wollen.«
Inzwischen waren wir an drei Bungalows vorbeigekommen und erreichten ein weißes Haus mit einem Kiesweg und zwei Blumentöpfen rechts und links neben dem Eingang.
»Hier ist es.« Stefano steckte den Schlüssel ins Schloss. »Kommt rein.« Im Flur stand ein kleiner,
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