Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
auch.«
»Das sind ja supergute Nachrichten«, bemerkte Cecilia.
»Wieso gut?«, fragte der Arzt und neigte den Kopf zur Seite.
Cecilia kicherte. »Ah. Verstehe. Sie haben noch nicht viel mit unserer Momma gesprochen, oder?«
»Doch, ich hatte das Vergnügen, die Bekanntschaft Ihrer Mutter zu machen.« Der Arzt blickte zur Decke und strich sich über das Kinn. »Sie konnte kaum sprechen, aber murmelte irgendwas vor sich hin, ich sei zu jung und zu klein und ob ich wirklich schwarz sei? So richtig tiefschwarz? Ob meine Urgroßeltern Sklaven gewesen seien?«
Janie lehnte sich gegen die Wand. Ich atmete aus und sackte zusammen. Immer taktvoll, unsere Momma. Wie goldig.
»Ich glaube, sie sagte auch, ich dürfe unter keinen Umständen und zu keiner Zeit in Rap-Songs verfallen oder Rap-Musik spielen. Ich musste ihr versichern, dass ich nie einer Gang angehört oder eine Waffe getragen hatte.«
»Das klingt ganz nach unserer Momma«, flötete ich. »Immer fröhlich und erfüllt von Wohlwollen und Sorge um ihre Mitmenschen.«
Janie, Cecilia und ich entschuldigten uns gleichzeitig. Wie oft hatten wir das schon tun müssen? Hundertmal? Tausendmal?
Der Arzt lächelte. »He, kein Problem, solange ich mich hier im Krankenhaus keiner Gang anschließe. Kommen Sie! Ich bringe Sie zu ihr.« Höflich hielt er uns die Tür auf.
Selbst ich erschrak über ihr Aussehen.
Sie war kalkweiß, wie zerknittertes Papier, ihr Mund ein schiefer Schlitz, die Augen eingesunken. Unsere zähe Scarlett O’Hara, unsere immer perfekt geschminkte Momma (wenn sie nicht gerade in einer ihrer tränenreichen Depressionen versank) sah fast aus wie eine Leiche.
»Momma«, sagten wir drei gemeinsam. »Momma!«
Keine Reaktion.
Ich beugte mich über sie und spürte ihren Atem auf meiner Wange. »Sie atmet noch.«
Janie legte ihre Hand auf Mommas Brust, über dem Herzen.
»Ihr Herz schlägt noch.«
»Großer Gott!«, sagte Cecilia. »Sie ist geschrumpft. Geschrumpft und verschrumpelt.«
»Pst«, machte Janie und rang die Hände. »Sie kann dich bestimmt hören.«
»Wie soll sie mich hören?«, fragte Cecilia und warf ihre blonden Haare zurück. »Sie ist nicht mal richtig bei Bewusstsein. Die ist vollkommen hinüber.«
»Musst du so was sagen?«, fragte ich in mildem Ton. Mir war nach einem Schluck Kahlúa.
»Ja, muss ich. Weil sie genau das ist. Schau her.« Cecilia beugte sich vor. »Momma! Momma!« Keine Reaktion. »Siehst du? Vollkommen hinüber. Endlich nörgelt sie mal nicht. Kritisiert nicht rum. Oder erzählt mir, ich wär fett und würde jeden Tag ›ausladender‹. Endlich. «
»Du solltest nicht …«, sagte Janie.
»Was sollte ich nicht, Janie?«, flüsterte Cecilia deutlich vernehmbar. »Meine Stimme heben? Nicht ehrlich sein? Vielleicht sollte ich so sein wie du. Mit deinem Haarknoten und diesen braunen Schuhen, in denen du ständig herumläufst. Immer mucksmäuschenstill, kuschst vor Momma, hast Riesenangst vor ihr, trittst nie für dich selbst ein. Hast du nie das Gefühl, schreien zu müssen, Janie? Schreien, weil du eine lausige Kindheit hattest und deine Mutter dir ins Gesicht sagt, du seist verrückt und würdest sie wahnsinnig machen? Willst du das nie?«
»Hör auf, Cecilia!«, sagte ich und stellte mich vor Janie. »Hier ist nicht der richtige Ort, um Janie eins überzubraten.«
Janie schluckte schwer. »Du machst mich nervös.«
»Ich mache dich nervös?«, fragte Cecilia. »Na, so was. Ich mache mich selber nervös. Mein Leben macht mich nervös. Momma macht mich nervös. Meine Kinder machen mich nervös. Ich bin die ganze Zeit nervös. Ich möchte Parker umbringen, aber immerhin verstecke ich mich nicht, kusche nicht, brabbel nicht vor mich hin.«
»Warum bist du so wütend auf mich, Cecilia?«, fragte Janie, mit Tränen in den Augen und geballten Fäusten. »Warum machst du mich fertig? Ich habe dir nichts getan. Gar nichts.«
Das brachte Cecilia zum Schweigen.
Ich schob meine Zöpfe zurück. »Und? Was hat dir Janie denn nun getan, dass du so wütend auf sie bist?«
»Ich bin nicht wütend auf sie«, fauchte Cecilia.
»Dann musst du mich hassen. Du hasst mich. Aber das ist in Ordnung.« Janies Stimme war rau. »Das hast du schon immer getan. Ist mir aber egal.«
» Das ist dir egal? Mir nicht.«
Ich merkte, dass es Cecilia ziemlich nervte, Janie nicht zu hassen.
»Und ich hasse dich auch nicht, Janie.«
»Müssen wir ausgerechnet jetzt unseren Hass erörtern?«, fragte ich. »Momma liegt bleich und
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