Rosarote Nachrichten: Roman (German Edition)
meiner Wange lila Marzipanglasur geklebt hätte.
Die Frau zuckte mit den Schultern.
»Kaffee?«
Sie roch nach Geißblatt und Minze. Später erfuhr ich, dass sie immer eine Plastikflasche mit parfümierter Lotion bei sich hatte.
»Saft?«
Ihre Augen blitzten verwirrt; sie öffnete ein Zuckerpäckchen und kippte es sich in den Mund. Dann ein zweites.
Ich beschloss, sie bei ihrem Zucker zu lassen. »Ich komme später wieder.«
Ich widmete mich dem Glasieren von zwei Dutzend blauen, rosafarbenen und grünen Keksen in Form eines Wals.
Zehn Minuten später ging ich wieder zu ihr. »Haben Sie sich entschieden? Ich habe Kekse in Walform.«
Keine Antwort. Ein Lächeln.
Etwa drei Sekunden später ließ sie sich auf die Seite fallen und rollte sich auf der roten Bank zusammen. Ein Gurgeln kam aus ihrer Kehle.
Sie schlief.
»Ma’am?« Ich schüttelte sie sanft an der Schulter. »Ma’am? Keine Walkekse?«
Ihrer Nase entfloh ein Schnarchen.
Später erfuhren wir, dass sie Belinda hieß.
Das Leben war kein Zuckerschlecken für sie gewesen.
Um drei Uhr hatten wir jede Menge gebacken, aber noch immer keine Kunden. Belinda war aufgewacht, hatte geschnieft, geschnaubt und uns verlassen, nachdem sie die Toilette aufgesucht hatte. Ich konnte sehen, dass sie unser Waschbecken für eine Minidusche benutzt hatte, obwohl der Raum pieksauber war, als ich nachschaute.
Ich hatte den Müll durchwühlt, in dem Janie und ich Kuchen, Kekse und Brot entsorgt hatten. Also, um fair zu sein, die Sachen waren mehrere Tage alt und konnten nicht mehr frisch sein.
Trotzdem. Das Brot schmeckte, als wäre es aus Sand und Wasser. Die Donuts schmeckten wie glitschiger Zucker, die Kekse wie Wellpappe mit Papierguss. Ich ließ Janie probieren. Sie spuckte den Bissen aus.
»Gut. Das ist wichtig für mein Buch. Ich muss wissen, wie totes Fleisch schmeckt.«
»Das war kein totes Fleisch.«
»Ich weiß. Aber ich muss es irgendwie beschreiben.«
Was sagt man zu so was?
Draußen gingen Leute vorbei, manche mit Surfbrettern, andere schoben Kinderwagen. Zwei Frauen mit Aktenkoffern. Ein Mann in einer blauen Schürze. Drei kichernde Mädchen, denen drei Jungen im selben Alter folgten.
Und warum kamen die nicht zu uns herein? Warum gaben sie nicht bei uns ihr Geld aus?
Ganz einfach. Weil das Zeug zum Kotzen schmeckte.
8. Kapitel
Am Abend besuchten wir Momma auf der Intensivstation. Janie fuhr ihren Porsche, das hieß, es ging kaum schneller voran als eine rückwärts krabbelnde Schildkröte.
Schließlich gelangte unsere Schildkröte zum Krankenhaus.
Unterwegs focht mein Hirn einen Kampf mit meinen Gefühlen aus. Wegen Momma. Ich liebte sie, aber manchmal hasste ich sie auch. Ehrlich.
Nichts, was ich je getan hatte, war gut genug für sie, und ich hatte schon vor langer Zeit aufgehört, mich um ihre Anerkennung oder Freundlichkeit zu bemühen. Cecilia hatte nie damit aufgehört, und Janie hatte immer noch eine Höllenangst vor unserer Mutter.
Für Momma würde ich nie etwas anderes sein als eine unzuverlässige, schwierige, liederliche Tochter, zu der sie keine Beziehung aufbauen konnte. Von Momma nicht anerkannt zu werden, hatte mir jahrelang fast das Herz gebrochen, doch irgendwann – vermutlich als ich mit Ende zwanzig in Afghanistan angeschossen wurde und heimkam, noch den Verband um den Oberarm, und sie mir sagte, ich sei ein »Flittchen« und als Kind eine »Enttäuschung« gewesen – hatte ich es aufgegeben.
Zwangsläufig, denn mir blieb nur die Wahl zwischen Aufgabe oder emotionalem Absterben. Ich war emotional eh halb tot, meine Überlebensinstinkte meldeten sich.
Aber ich wollte schon, dass Momma wieder gesund wurde. Ehrlich.
So rachsüchtig bin ich nicht. Ein bisschen nachtragend, aber nicht schlimm. Na ja, schon schlimm, aber nicht mörderisch.
Aber, mein lieber Scholli, sie war schon eine verdammte Plage!
Wir sprachen zuerst mit dem diensthabenden Arzt. Dr. Gordon war um die fünfzig, ein Afroamerikaner mit einer Nickelbrille und großen, graugrünen Augen.
»Wie geht’s unserer Momma?«
Der Arzt erstarrte kaum merklich.
»Sie kommt nicht so schnell wieder auf den Damm, wie wir es uns gewünscht hätten. Keine Energie. Lethargisch. Klagt über Schmerzen. Sie können gerne reingehen und ein paar Minuten bei ihr bleiben, aber ihre Genesung wird sich hinauszögern. Sie muss länger bei uns bleiben, als wir erwartet hatten.«
»Oh!«, flüsterte Janie. »Ruhe. Frieden.«
»Hm«, sagte ich. »Wie schade aber
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