Rosas Vermaechtnis
Schreibtisch hinweg die Hand, dann strich sie sich – entschlossen, die Tränenflut zu besiegen – die tiefschwarz gefärbten, mittellangen Haare hinter die Ohren. »Professor Hafner lebt nicht mehr, das haben wir heute Morgen von unserem Dekan erfahren. Die Polizei hat ihn informiert, und wir sollen uns jetzt darauf einstellen, von der Polizei vernommen zu werden.«
»Das hört sich ja alles furchtbar an!« Alexandras offensichtliches Mitgefühl lockerte die Zunge ihres Gegenübers so weit, dass nach der anfänglich spürbaren Skepsis jetzt ein Redeschwall auf sie niederprasselte.
»Der Professor ist ...«, sie hielt inne und die Tränen flossen erneut, »mein Gott, jetzt muss ich ja sagen war so ein netter Mann ..., meistens gut gelaunt und noch dazu schon so lange Witwer.« Sie errötete und schlug verlegen die Augen nieder.
»Sie mochten ihn wohl gern?«, fragte Alexandra leise, worauf die andere stumm nickte.
»Sie sagten, er war Witwer?«
»Ja, und er muss sehr an seiner Frau gehangen haben. Jedenfalls ist mir nicht bekannt, dass er eine Freundin hatte.«
»Haben Sie denn auch über Privates gesprochen?«
»Nun ja, manchmal wenigstens, meistens während der Kaffeepausen, wenn es nichts Berufliches zu besprechen gab.« Frau Berger überlegte einen kurzen Moment, bevor sie zögernd fortfuhr: »Wenn ich es recht bedenke, sprachen wir vor allem über mich. Ich habe vor Kurzem meine Mutter zu mir genommen, wissen Sie, und das ist nicht ganz leicht.« Sie zuckte die Schultern und versuchte ein Lächeln. »Jedenfalls nahm er großen Anteil an meiner Situation – meine Mutter ist manchmal recht verwirrt – und redete mir zu, mir von professioneller Seite helfen zu lassen.«
Alexandra nickte und schwieg, um Frau Berger nicht zu unterbrechen. »Fachlich war Professor Hafner durch seine Forschung und durch seine Beiträge in der Zeitschrift Historia gut angesehen.«
»Was erforschte er denn?«
»Sein Steckenpferd war die sumerische Keilschrift. Er hat einige neue Erkenntnisse darüber veröffentlicht. Und er liebte es, gut zu essen und zu trinken, was auch seine Studenten sehr an ihm zu schätzen wussten.«
»Warum?«, fragte Alexandra verdutzt.
Almut Berger lächelte. »Ach wissen Sie, im Moment ist das Semester nicht sehr groß – Alte Geschichte ist ja auch ein sehr spezielles Fach – und wenn der Professor Seminare gab, brachte er hin und wieder eine Platte voller leckerer Häppchen mit, die er verteilte. Natürlich nicht, ohne mir vorher etwas davon abzugeben.«
»Und woher hatte er die?«
»Keine Ahnung, er lächelte immer nur, wenn ich ihn fragte, ob er sich morgens schon früh in die Küche gestellt habe. Ob er die Kanapees selbst belegte oder sie irgendwo abholte – ich weiß es nicht.«
»Eigenartig!« Alexandra schüttelte den Kopf. »Das heißt, ich meine, das war natürlich ein netter Zug von ihm! Welcher Professor macht das schon? Aber ein bisschen komisch finde ich es schon.«
»Zugegeben, aber wenn Sie ihn gekannt hätten, wäre Ihnen das gar nicht eigenartig vorgekommen. Es passte zu ihm.« Frau Berger schaute Alexandra ein wenig gedankenverloren an, dann sammelte sie sich plötzlich und setzte wieder ein geschäftsmäßiges Gesicht auf. »Aber was plaudere ich da alles? Sie sind doch wegen der Weinlieferung hier. Tja, ich befürchte, da kann ich Ihnen jetzt auch nicht mehr weiterhelfen. War der Wein denn schon bezahlt?«
Alexandra beeilte sich, verneinend den Kopf zu schütteln.
»Ja, dann ist es doch vielleicht nicht so schlimm. Sie entschuldigen mich, jetzt muss ich dringend weiterarbeiten, der Dekan braucht die Veröffentlichungsliste von Professor Hafner.«
»Natürlich! Ich danke Ihnen herzlich für die Auskunft, Frau Berger. Und alles Gute für Sie.«
Auf der Rückfahrt sah Alexandra plötzlich den Professor vor sich, wie er wohl zu Lebzeiten gewesen sein mochte. Sie sah ihn im Gespräch mit seiner Sekretärin, nahm wahr, mit welcher Geste er zwei Löffel Zucker in seinen Kaffee häufte, konnte sein Lächeln erkennen und erlebte ihn im Hörsaal vor seinen Studenten, schon eine Anekdote im Kopf, wenn es mal zu langweilig zu werden drohte. Sie sah ihn zu Hause in gediegener Einrichtung an seinem Schreibtisch sitzen und noch bei Nacht seinen Forschungen nachgehen, sich mit einer fahrigen Geste durch das kurze graue Haar streichen, während er sich in seinem alten, dunklen Drehstuhl zurücklehnte, schließlich gähnte, dann mit einer entschlossenen Handbewegung das
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