Rosas Vermaechtnis
Jahren heraus, in denen sie psychosomatische Beschwerden entwickelte. Migräneanfälle und Rückenschmerzen häuften sich, die von üblichen Therapien unberührt blieben, aber auch die Angst vor der nächsten Leiche steigerte sich. Erst, als sie sich nach drei Monaten dabei ertappte, dass der Griff zur »rosaroten Brille« in Form von Psychopharmaka, die ihr den Umgang mit all ihren Ängsten erleichterten, inzwischen zum Alltag geworden war, musste sie sich eingestehen, dass sie inzwischen davon abhängig geworden war. Selbst vom Fach, bildete sie sich – wie viele Suchtkranke – jedoch ein, dass sie jederzeit ganz leicht damit aufhören könnte, wenn sie es für nötig hielt. Aber es gelang ihr nicht, als sie es schließlich wirklich versuchte.
Alexandra, die sich gerade aufgrund ihrer ungewöhnlichen Sensibilität zum Schutz ein gewisses Maß an pragmatischer Bodenständigkeit erarbeitet hatte, musste sich eingestehen, dass sie unfähig war, ihre Sucht zu beenden, wenn sie so weitermachte wie bisher. Noch gab es keinen Fall von Fehldiagnose, aber in selbstkritischen Augenblicken spürte sie, dass ihr die Situation irgendwann entgleiten könnte, weil die Genauigkeit, die für ihren Beruf unabdingbar war, sich in einer Art von positiver Gleichgültigkeit verlor. Wenn Marie, mit der sie ihren Alltag gern besprach, ihr in dieser Zeit nicht den Spiegel vorgehalten hätte, wären ihr sicher bald Fehler unterlaufen, aber so begann sie, sich nach und nach mit Lebensalternativen auseinanderzusetzen. Und irgendwann war der Entschluss dann wirklich gefallen, und seit sie den Dienst quittiert hatte, ging es ihr wieder besser.
2.
»Dieser Balduin Hafner muss ein netter Mensch gewesen sein«, sagte sie beiläufig, als sie abends mit Marie bei der Abrechnung des letzten Tages saß.
»Ach, es geht also wieder los?«, antwortete die Freundin mit einem besorgten Seitenblick.
»Vor dir kann man auch nichts verheimlichen!« Alexandra lächelte schwach. »Ja, es scheint so, aber ich bin froh, dass ich mit dir darüber reden kann. Trotzdem will ich noch mehr über ihn herausbekommen.«
»Was sagt der Kommissar denn dazu? Eigentlich darfst du das doch gar nicht.«
»Stimmt. Deswegen weiß er auch offiziell nichts davon.«
»Aha, so habt ihr das also geregelt!«, grinste Marie, »und wie soll das jetzt weitergehen?«
»Mich lässt der Gedanke nicht los, dass Hafner vielleicht nicht zufällig hier war. Irgendetwas hat er gewollt!« Alexandra stand auf und begann ruhelos hin und her zu laufen. »Aber was? Ich muss zu ihm in die Wohnung, vielleicht finde ich dort einen Hinweis.«
»Aber unseren Wein verkaufst du zwischendurch auch noch, oder soll ich das jetzt ganz allein machen?«
»Natürlich nicht, nach Geschäftsschluss ist ja schließlich auch noch Zeit.«
Hauptkommissar Jan Berger hatte sich in den Kopf gesetzt, den Zufall aus dieser Sache auszuschließen. Die Geschichte mit den Fuchsjägern schien durchaus plausibel zu sein, und ihm war in seiner Praxis schon so mancher versehentliche Jagdunfall untergekommen.
Berger, obwohl selbst aufgrund seines Berufes an Waffen gewöhnt und mit ihren Risiken vertraut, war trotz allem ein Gegner der Jagd. Das Machtgefühl über die niedere Kreatur, das aus so manchen Jägeraugen leuchtete, war ihm verhasst. Mochten sie sich noch so sehr als Regulativ der Natur verstehen, das kranke Tiere auszumerzen oder eine angeblich übergroße Population zu dezimieren half, für Berger war dieser Grund oft nur vorgeschoben. Die Einzigen, die dieses Recht hatten, waren für ihn die Förster und ihre Forstgehilfen, alles andere erschien ihm unrecht. Der Grund dafür, dass nur wenige Jäger, nämlich jene, denen ein wirklicher Einklang mit der Natur am Herzen lag, vor seinen Augen Gnade fanden, lag lange Jahre zurück. Auch Jans Vater war passionierter Jäger gewesen, der seinen kleinen Sohn schon früh an die Jagdgewohnheiten gewöhnen wollte und ihn daher mit auf die Pirsch nahm. Das Kind sollte von vorneherein mit diesem Bewusstsein aufwachsen, oder anders gesagt, ein Gefühl der Überlegenheit den Tieren gegenüber entwickeln, kurz, es sollte in den Augen des Vaters schon früh ein richtiger Mann aus ihm werden. Jan jedoch erbrach sich, als der Vater ihn zu dem erschossenen Reh führte, das blutend und in seinen letzten Zuckungen am Boden lag. Als der Vater das Wild schließlich aufbrach, die Eingeweide herausnahm, die blutig und dampfend in der kühlen Herbstluft lagen, und
Weitere Kostenlose Bücher