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Rosas Vermaechtnis

Rosas Vermaechtnis

Titel: Rosas Vermaechtnis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christa Leinweber
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der Gestank für Jan unerträglich wurde, war es mit seiner Fassung vollständig vorbei. Der Vater, der ein solches Verhalten nicht akzeptieren wollte, zwang den Sohn, ihn weiterhin bei der Jagd zu begleiten. Der Zehnjährige begann schlecht zu schlafen, verlor den Appetit und zog sich immer mehr in sich zurück. Die Mutter, die die Not des Kindes zwar traurig erlitt, war aus eigener Schwäche heraus jedoch außerstande ihm zu helfen und zog es vor, sich den Wünschen ihres Mannes zu beugen.
    Der Höhepunkt des Leidens war erreicht, als der Vater, wütend über Jans sogenannte Verstocktheit, zum Gewehr griff und dessen geliebte Katze vor seinen Augen erschoss. Von diesem Tag an hatte Jan kein Wort mehr mit ihm geredet und war kurz darauf in ein Internat gekommen. Auch hier war es schwer gewesen, aber trotzdem besser, als die Kälte und Verbohrtheit des häuslichen Umfeldes ertragen zu müssen.
    Obwohl es bei seiner Vorgeschichte eher paradox erschien, dass er nach dem Abitur das Studium an der Polizeischule aufgenommen hatte, war es für Jan eine logische Konsequenz gewesen. Sein Sinn für Gerechtigkeit – oder sagen wir besser Ungerechtigkeiten, die jemand erleiden musste – ließ ihm keine andere Wahl. Aber er musste während seiner Ausbildung auch lernen, sein emotionales Gerechtigkeitsempfinden zurückzustellen und durch professionelles Abwägen und Handwerk zu ersetzen. Trotzdem gab es immer wieder Situationen, in denen ihm das schwer fiel. Bei Verhören zum Beispiel, in denen dem offensichtlich schuldigen Täter nichts nachzuweisen war und der Kommissar und der Polizeiapparat an seine Grenzen gerieten. In der Regel verließ er dann den Raum, weil er fürchtete, handgreiflich zu werden, und bis auf ein paar Ausnahmen war es ihm bisher gelungen, ruhig zu bleiben. Auch seinem Vater hatte er damals den Tod gewünscht, und etwas von dieser beängstigenden Energie, die je nach Situation – dessen war er sich sicher – jeden treffen könnte, unter diesen Umständen also, erlebte er sie.
    Trotzdem war aus dem ehemals verängstigten Kind ein Mann mit optimistischer Ausstrahlung und positivem Wesen geworden, der von seinen Kollegen respektiert und gemocht wurde. Wie viel innere Arbeit und welchen Reifungsprozess es dazu gebraucht hatte, ahnte niemand, aber Jan war davon überzeugt, dass die lebensbejahende Art wirklich seinem Charakter entsprach und schon immer ein Teil von ihm gewesen war.
    Im nächsten Schritt seiner Ermittlungen hieß es jetzt also, die Waffenbesitzer der näheren Umgebung ausfindig zu machen, ihnen einen Besuch abzustatten und ihre Schusswaffen überprüfen zu lassen. Außerdem müsste er herausbekommen, ob es in Alexandras Gegend Leute gab, die illegale Gewehre oder Pistolen besaßen – auf jeden Fall lag ein gutes Stück Arbeit vor ihm. Gleichzeitig musste er mit den Nachforschungen zu Balduin Hafners Person vorwärtskommen. Jan seufzte – die Sisyphusarbeit gehörte halt zum Geschäft.
    Alexandra beschloss, ohne die Sache mit Jan abzusprechen, sich ein Bild von Hafners Wohnung zu machen. Da der Tote außerhalb gefunden worden war, war die Wohnung bereits untersucht, aber nicht versiegelt worden; die Polizei hatte den Schlüssel allerdings sichergestellt. Aber wie das bei Mietshäusern oft der Fall war, bestand durchaus die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nachbar oder eine Nachbarin einen Ersatzschlüssel besaß, sodass Alexandra sich einen guten Grund ausdenken wollte, um Zugang zur Wohnung zu bekommen.
    Marie staunte nicht schlecht, als Alexandra, die legere Kleidung liebte, am späten Nachmittag in einem eleganten schwarzen Kostüm vor ihr stand.
    »Mensch, Alexandra, du siehst ja klasse aus!« Marie musterte ihre Freundin aufmerksam. »Vielleicht ein bisschen spießig, sieht aber trotzdem gut aus. Wen willst du denn damit beeindrucken?«
    »Wenn ich Zutritt zu Hafners Wohnung bekommen will, muss ich doch vertrauenerweckend aussehen. Meinst du, das geht so?« Alexandra drehte sich langsam um die eigene Achse.
    Marie lachte. »Auf jeden Fall! Ich selbst würde dir unbesehen jedes Märchen abnehmen, das du mir erzählst.«
    »Okay, dann hoffe ich, dass es Hafners Nachbarn genauso geht. Du kommst doch in der letzten Stunde allein klar? Heute war ja sowieso nicht so viel los.«
    »Jetzt geh schon, vorher gibst du ja doch keine Ruhe. Sicher schaffe ich das hier allein.«
    Ein gute halbe Stunde später stand Alexandra vor der imposanten, hellen Jugendstilfassade des Acht-Parteien-Hauses in der

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