Rose Harbor und der Traum von Glueck
höchstens ein, zwei Tage. » Irgendwo ans Meer wahrscheinlich. Es lohnt sich nicht, nach Kalifornien zurückzufahren, bevor ich nach Montana gehe. «
Statt einer Antwort lächelte sie traurig.
» Soll ich dir beim Aussuchen der Kleider helfen? « , fragte er.
Sie schüttelte den Kopf. » Nicht nötig. Richard hatte einen Lieblingspullover, den er ziemlich oft trug. Ich glaube, deine Mutter hat ihn gestrickt. Er ist zwar reichlich abgetragen, aber er erscheint mir angemessen, findest du nicht? «
» Sicher. Tu, was du für richtig hältst. «
Sie musterte den Umschlag in seiner Hand. » Wann willst du nachschauen, was drinsteht? «
Josh zuckte die Achseln. Er war nicht in der Stimmung, sich sofort damit zu befassen. » Ach, irgendwann. Möchtest du ihn lesen? «
» Großer Gott, nein « , wehrte sie ab und trat einen Schritt zurück. » Dieser Brief ist für dich bestimmt, nicht für mich. Ich wundere mich nur, dass du kein bisschen neugierig bist. «
Das war er wirklich nicht, und zwar mit gutem Grund.
» Ich weiß schon, was er mir darin mitteilt. «
» Du weißt es? «
» Richard hat mir gleich nach meiner Ankunft unter die Nase gerieben, dass ich nichts erben würde. Was mich nicht überrascht. Außerdem ist es mir egal, denn auf das Haus lege ich nicht den geringsten Wert. «
» Du warst sein Sohn « , gab Michelle zu bedenken.
» Stiefsohn « , berichtigte er. Und daran hatte auch ihr Friedensschluss nichts geändert. Josh wäre nie ein Sohn für Richard und Richard nie ein Vater für ihn gewesen. Er wollte ihn in der Erinnerung nicht zu etwas hochstilisieren, was nicht der Wahrheit entsprach.
Michelle runzelte die Stirn. » Wann reist du ab? « , erkundigte sie sich.
» Irgendwann morgen, wahrscheinlich ziemlich früh. «
» So bald schon? « , fragte sie, ohne ihn dabei anzuschauen.
Josh konnte ihre Enttäuschung förmlich spüren. » Hast du etwas dagegen? «
» Ja … nein … Ach, ich weiß nicht, was ich denken soll. «
Michelle schien ebenso durcheinander zu sein wie er selbst. Die Szene kam ihm trotz aller greifbarer Realität unwirklich vor.
» Alles ist so verwirrend « , murmelte er, während Michelle in ihrer Tasche nach ihren Autoschlüsseln kramte.
» Wir brauchen einen Drink « , meinte Josh. » Vorzugsweise etwas Starkes. «
» Wie wäre es mit dem Pink Poodle? « , schlug Michelle vor.
» Einverstanden, dann treffen wir uns auf dem Parkplatz. «
Josh war sich zwar nicht sicher, ob dort etwas Stärkeres als Bier ausgeschenkt wurde, aber etwas Besseres gab es in Cedar Cove offenbar nicht.
Das Neonschild mit dem Namenszug der Bar hatte seine besten Zeiten eindeutig hinter sich. Einige Birnen waren kaputt, sodass nur noch INK P O LE zu lesen war, was ebenso gut auf ein Tattoostudio wie auf eine Kneipe hinweisen konnte. Eigentlich hatte sich seit seinem Weggang nichts wirklich in der Stadt verändert, dachte Josh.
Ein paar Männer an der Theke blickten auf, als er und Michelle den Schankraum betraten, dessen Boden mit Sägespänen bedeckt war. Sie gingen zu einer freien Nische und nahmen einander gegenüber Platz. Als die Kellnerin an ihren Tisch trat, bestellte Josh ein Bier, Michelle hingegen bloß eine Cola light.
» Alles in Ordnung? « , fragte er nach ein paar Minuten.
Sie zuckte die Achseln, ohne ihm dabei in die Augen zu sehen.
» Ich weiß, dass Richard und du euch nahegestanden habt … «
» So nah nun auch wieder nicht. «
Sie hob das Kinn und wich seinem Blick erneut aus. Ihre Unterlippe zitterte leicht.
» Das ist alles nicht ganz einfach « , sagte er und griff über den Tisch hinweg nach ihrer Hand.
Michelle entzog sie ihm und legte sie in den Schoß.
Überrascht angesichts dieser plötzlichen Schroffheit lehnte sich Josh gegen die Rückenlehne der Holzbank. War es wegen Richard oder seinetwegen? Weil er fortging?
Er wusste nicht recht, was er sagen sollte, und bemühte sich um einen möglichst neutralen Ton. » Jedenfalls bin ich dir und deiner Familie dankbar, dass ihr regelmäßig nach Richard gesehen habt. Nachdem meine Mutter und Dylan gestorben sind, wart ihr wahrscheinlich die Einzigen, die sich überhaupt um ihn gekümmert haben. «
Und von Kummer zerfressen, hatte Richard sich in die Rolle des Einsamen, von allen Verlassenen hineingesteigert und alle, die ihm noch wohlgesinnt waren, vor den Kopf gestoßen. Was schließlich zur totalen Isolierung führte. Aber Richard war einmal anders gewesen, das hatte er erst in den letzten Tagen
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