Rose Harbor und der Traum von Glueck
begriffen. Vorher wollte er es nicht sehen, weil es nicht ins Bild passte, und deshalb verdrängte er so manche Erinnerung. An einen Richard etwa, der mit Teresa lachte und scherzte und tanzte.
Die Kellnerin brachte ihre Getränke. Josh zahlte, und dann saßen sie schweigend da. Michelle rührte ihre Limo nicht an, umschloss nur das Glas mit beiden Händen. Um sie abzulenken, zog Josh den Brief aus der Manteltasche, überflog ihn und reichte ihn ihr. Er hatte nichts Aufregendes entdecken können.
Michelle las die wenigen Zeilen rasch durch. » Er möchte, dass du Teresas und Dylans Gräber pflegst, nicht jedoch sein eigenes? «
Josh stieß ein kurzes Lachen aus. » Wahrscheinlich fürchtete er, ich könnte ihm Unkraut aufs Grab pflanzen. Ein verlockender Gedanke, wenn ich ehrlich bin. «
» Josh! «
» Hübsches Unkraut « , sagte er in der Hoffnung, ihr ein Lächeln zu entlocken.
» Stört es dich nicht, dass der Erlös aus dem Verkauf des Hauses an wohltätige Stiftungen geht? «
» Überhaupt nicht. «
Tatsächlich sagte ihm die Regelung zu, die sein Stiefvater getroffen hatte. Eine Hälfte ging zum Gedenken an Teresa an die Krebsforschung, die andere zum Gedenken an Dylan an eine Gesellschaft für Hirntraumaforschung.
Wieder wandte sie den Blick ab.
» Wirklich alles in Ordnung? «
» Ja. « Sie nippte einmal kurz an ihrer Limonade und schob das Glas von sich. » Das war’s dann also? «
» Wie meinst du das? «
» Du reist morgen früh ab. «
» Ja. «
» Und es besteht für dich kein Grund mehr, noch einmal beim Haus vorbeizuschauen, nicht wahr? «
» Nein, zum Haus muss ich nicht mehr. Aber natürlich komme ich vorbei, um mich zu verabschieden. «
» Einfach so « , flüsterte sie. Ein trauriger Ausdruck trat in ihre Augen. » Du willst wirklich einfach wegfahren und nicht zurückblicken? «
Die Frage hing zwischen ihnen in der Luft.
Von seinem Gesichtspunkt aus lag die Antwort auf der Hand. » Gibt es denn einen Grund, weshalb ich bleiben sollte? « , fragte er und war ehrlich gespannt auf ihre Antwort.
» Ich denke schon « , murmelte sie.
» Und der wäre? «
» Wir beide, Josh. Ich weiß, dass du dich bei diesem Gespräch wahrscheinlich vor Unbehagen windest, und trotzdem werde ich mich nicht entschuldigen. «
Sie hatte recht, was er allerdings nicht zuzugeben bereit war.
» Bevor du irgendetwas sagst, gestatte mir eine einfache Feststellung. Nachdem du Cedar Cove verlassen hast … «
» Du meinst, nachdem Richard mich aus dem Haus warf. «
Sie überging seinen sarkastischen Ton. » Seitdem bist du umhergezogen – erst beim Militär und dann in deinem Job. «
» Ich will und brauche keine Wurzeln « , beharrte er. » Die hatte ich seit meinem achtzehnten Lebensjahr nicht mehr. «
» Jeder braucht irgendeinen Menschen, Josh. « Ihre Stimme klang leise, sanft und wissend. » Wer nimmt diese Rolle in deinem Leben ein? «
Er schüttelte den Kopf, um anzudeuten, dass er darauf keine Antwort wusste.
» Du hast jetzt eine Wahl « , fuhr sie in demselben Ton fort. » Du kannst weiterhin in der Wüste umherirren und dich ständig angegriffen fühlen … «
» Oder? « , unterbrach er sie.
Er war nicht sicher, was genau sie meinte, ahnte allerdings, dass es nichts Gutes war.
» Du kannst auch … «
» In Cedar Cove bleiben? « , unterbrach er sie ein zweites Mal.
» Nein « , widersprach sie rasch. » Das wollte ich nicht sagen. « Sie hielt seinem Blick lange stand, bevor sie von der Bank glitt. » Vergiss, dass ich überhaupt etwas gesagt habe. Du hast deine Entscheidung getroffen, und ich wünsche dir alles Gute, Josh. Wirklich. Es war schön, dass du gekommen bist, und ich bin sicher, dass das auch für Richard galt, obwohl er es nie zugegeben hätte. Finde Frieden. «
Ohne sich noch einmal umzudrehen, verließ sie das Pink Poodle.
Verdutzt blieb Josh ein paar Sekunden lang sitzen und versuchte zu erfassen, was soeben geschehen war. Sie waren beide in den letzten beiden Tagen ziemlich angespannt gewesen, doch so durfte es einfach nicht enden.
Als er sie erreichte, stand sie neben ihrem Auto, eine Hand auf die Motorhaube und die andere vor die Augen gelegt. Verlegen begann sie nach ihren Autoschlüsseln zu suchen.
Plötzlich richtete sie sich auf und drehte sich zu ihm um, schaute ihn mit großen Augen an. Josh wusste nicht, was er sagen sollte – wusste nicht einmal, was sie von ihm wollte. Er hatte bloß das Gefühl, dass er sie nicht einfach gehen lassen konnte.
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