Rosehill 01 - Die Tochter des Lords
aber die Stadt erinnert mich an eine andere, in deren Nähe ich aufwuchs. Eigentlich bin ich ein Farmerjunge, und ich mag den Schmutz unter meinen Fingernägeln, weil er mir beweist, dass ich harte Arbeit geleistet habe.«
Nur mühsam verbarg Harrison seine Belustigung. Mitchells freundliches Wesen schien die Geschworenen zu beeindrucken, und Morrison grinste sogar.
»Erzählen Sie von Livonia Adderley«, befahl Harrison.
Da erlosch Mitchells Lächeln. »Sie war nicht in ihrer Hütte. Von einem Nachbarn erfuhr ich, sie sei in ein Krankenhaus gebracht worden. Also ging ich hin, um sie zu befragen. Während der ganzen Zeit war der Doktor dabei. Livonia erzählte mir, was geschehen war, ich notierte alles, und sie leistete ihre Unterschrift.«
Harrison brachte das Dokument dem Richter, der es den Geschworenen vorlas. »John Quincy Adam trägt keine Schuld am Tod meines Mannes. Walter Adderley stolperte, und sein Kopf schlug gegen das Kaminsims. Dabei verletzte er sich so schwer, dass er sofort starb.«
»Bitte, lesen Sie alles vor, Euer Ehren«, sagte Harrison.
Burns schaute Cole und Adam an. »Sind Sie sicher?«
»Völlig sicher.«
»Also gut. ›Ich werfe meinen Söhnen nicht vor, wie sie sich verhalten, und ich werde keine Klage gegen sie erheben. Das hat auch Rose versprochen, und meine treue Freundin wird ihr Wort halten. Ich liebe meine Söhne. Nur wenn sie in Wut geraten, jagen sie mir Angst ein. Sicher wollten sie mir nicht weh tun. Aber ich hatte mich geweigert, ihr Papier zu unterschreiben, und da zwangen sie mich dazu. Von der Wahrheit wollten sie nichts wissen, und ich konnte nicht mehr Prügel ertragen, weil ich eine schwache Frau bin. Und so unterzeichnete ich das Schriftstück. Gott möge mir die Lüge verzeihen‹.«
Atemlose Stille erfüllte den Saal, und der Richter starrte bestürzt vor sich hin.
»War außer dem Doktor und Ihnen noch jemand bei Livonia im Krankenzimmer?«
»Ja, Mama Rose. Livonia nennt sie so, und ich durfte sie ebenfalls mit diesem Namen anreden.«
»War sie im Krankenzimmer oder wartete sie vor der Tür?«
»Sie saß neben dem Bett, hielt Livonias Hand und tröstete sie.«
Bevor Harrison die nächste Frage stellte, holte er tief Atem. Nur schwer kam sie über seine Lippen. »Und wie sah Mama Rose aus?«
Seufzend schüttelte Mitchell den Kopf. »Fast so schlecht wie Livonia. Ihr Gesicht war geschwollen, und sie hatte blaue Flecken an Armen und Beinen. Eigentlich hätte sie selber im Bett liegen müssen, aber sie wollte Livonia nicht allein lassen. Wann immer die Patientin erwachte, rief sie nach Rose. Und sobald sie die Stimme ihrer Freundin hörte, lächelte sie und schlief wieder ein.«
»Hat Mama Rose ebenfalls ein Dokument unterzeichnet, dass Adams Unschuld bestätigt?«
»Ja.«
Harrison übergab dem Richter das Papier. »Wird Livonia genesen?«
»Daran zweifeln die Ärzte. Sie war schrecklich zugerichtet worden. Vermutlich fehlt ihrem armen, schwachen Körper die Kraft, um sich zu erholen.«
»Und Mama Rose?«
»Sie wird ebenfalls ärztlich behandelt. Eigentlich verstößt es gegen die Regeln des Krankenhauses, dass sie in Livonias Zimmer schläft. Aber die Schwestern machten eine Ausnahme, weil sie Mama Roses Herzensgüte erkannten, und stellten eine Couch für sie hinein.«
Besorgt wandte sich Harrison zu Adam, der die Hände auf den Tisch gelegt hatte und den Eindruck erweckte, er würde jeden Moment aufspringen. Als sein Verteidiger ihm zunickte, beruhigte er sich wieder. Nun erinnerte er sich, dass Harrison erklärt hatte, er würde nicken, wenn in diesem Gerichtssaal gelogen wurde.
Cole tastete nach seinem leeren Waffengurt und überlegte, ob er sein Schießeisen vom Richtertisch holen und eine Kugel in Reginalds Herz jagen sollte. Dann sah auch er, wie Harrison nickte, und riss sich zusammen.
»Erzählen Sie den Geschworenen, wer Livonia zusammengeschlagen hat, Alfred«, bat Harrison.
»Reginald Adderley.«
Ein Raunen ging durch den Saal, aber Harrison ignorierte es. »Wie der Vater, so der Sohn. Wieso wissen Sie, dass es Reginald war, Alfred?«
»Weil Livonia und Mama Rose mir erzählten, Reginald habe sie geschlagen. Am nächsten Nachmittag sah der Doktor Livonias Sohn. Er kam ins Krankenzimmer, in Anwesenheit des Arztes, dessen unterschriebene Aussage ich Ihnen übergeben habe. Er berichtete, Reginald habe sich hinabgebeugt und seine Mutter geküsst. In diesem Augenblick sah der Doktor Kratzer an den Händen des Mannes und fragte, ob er
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