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Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken

Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken

Titel: Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Deborah Ellis
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Kindern. Sie kannte sämtliche Bewohner beim Namen und wusste Sachen von ihnen, die ihre Kolleginnen nicht mal ahnten.
    Aber draußen auf der Straße legte sie richtig los und verschonte niemanden. Am Samstag, nachdem es passiert war, fuhren wir in den Supermarkt einkaufen. Dort lief Mom durch die Gänge und wollte mit jedem diskutieren, den sie traf.
    Â»Halten Sie Casey White wirklich für schuldig?«, fragte sie.
    Die Kunden, die gerade ihr Müsli oder eine Dose Frühstücksfleisch in den Wagen packten, waren verblüfft und antworteten wahrheitsgemäß: »Ja, ich denke schon, dass sie es war.« Daraufhin machte Mom sie fertig – ob alt oder jung, Kleinkind dabei oder nicht, das war ihr alles egal.
    Mehrmals musste ich sie am Arm von den Leuten wegziehen. Ein Mann machte sogar Anstalten, ihr gegenüber handgreiflich zu werden. Ich zog sie also weg – mehr zu seiner Sicherheit als zu ihrer. Denn wenn Mom einmal in Fahrt ist, nimmt sie es mit jedem auf.
    Ich sah auf den ersten Blick, wer Mom kannte und wer nicht. Diejenigen, die ihr zum ersten Mal begegneten, ließen sich tatsächlich auf eine Diskussion mit ihr ein. Und wer sie kannte – tja, natürlich sah ich, wie ihre Augen glasig wurden und sie einen betont toleranten Blick aufsetzten, sobald ihnen klar wurde, dass Mom gerade auf Konfrontationskurs war.
    Vivian dreht mal wieder am Rad, konnte ich in ihren Gesichtern lesen, ehe sie sich schleunigst verabschiedeten. Aber das machte Mom komischerweise wütender, als wenn sich Leute auf einen Disput mit ihr einließen. Als wir schließlich an der Kasse ankamen, war sie total außer sich. Die bedauernswerte Kassiererin, ein Mädchen aus dem Jahrgang unter mir an meiner Schule, bekam Moms ganzen Frust zu spüren. Ich schaffte es nicht, sie zu beruhigen. Alle starrten uns an.
    Irgendwann reichte es dem Marktleiter, und er rief die Polizei, die Mom aus dem Laden beförderte. Die Kassiererin war von allem so mitgenommen, dass sie unsere Einkäufe nicht mehr fertig abrechnen konnte. Ihr Chef übernahm das an ihrer Stelle und schickte sie in den Pausenraum, damit sie sich wieder abregen konnte. Währenddessen stand Mom an die Schaufensterscheibe gepresst, hämmerte dagegen und schrie alles in Grund und Boden.
    Â»Komm nie wieder hierher mit ihr«, sagte der Marktleiter zu mir, als er mir das Wechselgeld reichte. »Verstanden?«
    Ich wollte antworten, dass ich das Verhalten meiner Mutter genauso wenig beeinflussen konnte wie er, nickte aber nur, nahm unsere Einkäufe und ging.
    Â»Komm, wir gehen nach Hause, Mom«, sagte ich zu ihr und versuchte, sie vom Schaufenster wegzuholen.
    Sie drehte sich um und fuhr mich an: »Wie kannst du das einfach so hinnehmen? Was bildest du dir eigentlich ein?«
    Da ließ ich sie stehen und machte mich allein auf den Heimweg. Wir waren zu Fuß gekommen und die Einkaufsbeutel waren ziemlich schwer. Als ich zu Hause ankam, hatten die Tragegriffe tiefe rote Striemen an meinen Händen hinterlassen.
    Danach waren Dad und ich ziemlich ratlos.
    Â»Kannst du denn nicht irgendwas machen?«, fragte ich ihn am Abend. Da Mom nichts zum Abendessen vorbereitet hatte, fuhren wir an den Stadtrand zu Hamburger World. Wir nahmen unser Essen und setzten uns draußen an einen Picknicktisch.
    Â»So weit ist es noch nicht«, antwortete er. »Freiwillig würde sie sich niemals in Behandlung begeben, und eingewiesen werden kann sie nur, wenn sie sich oder andere gefährdet. Das weißt du doch.« Er biss in seinen Hamburger – wahrscheinlich damit er nichts mehr sagen musste.
    Â»Du hättest sie im Supermarkt mal sehen sollen«, fuhr ich fort. »So hab ich sie noch nie erlebt, nicht mal ganz am Anfang. Sie war irgendwie anders, viel entschlossener vielleicht. Ich weiß auch nicht.«
    Ich beschrieb Dad den Vorfall in allen Einzelheiten, obwohl ich genau wusste, dass er es gar nicht hören wollte. Er wandte sich sogar ein bisschen ab, so als ob er meine Worte erst mal von sich weglenken wollte, ehe sie bei ihm ankamen. Ich erzählte ihm Sachen, die ich sonst nur Casey anvertraute.
    Casey konnte ich immer von dem abgedrehten Verhalten meiner Mutter erzählen. Oft war sie ja sogar selber dabei und wir unterhielten uns hinterher darüber. Wenn ich alles losgeworden war, was mir auf der Seele lag, sagte Casey irgendwas wie: »Das findest du seltsam? Na, dann erzähl ich dir mal was von

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