Rosen, Tulpen, Nelken, alle Blumen welken
an. Ich zähle auf Dich, dass Du unseren Plan nicht aus den Augen verlierst!
Jetzt wird schon wieder der Platz auf dem Papier knapp. Hey, ist Dir aufgefallen, dass ich jetzt zwei Blätter bekomme, nicht mehr nur eins? Wenn das die Steuerzahler wüssten!
Halt die Flügel steif, Libelle! Und schreib bald!
Liebe GrüÃe,
Casey
Ich wusste genau, dass ich auch diesen Brief nicht beantworten würde.
Ich ging in mein Zimmer und lieà mich auf mein ungemachtes Bett fallen. Es war noch genau so wie am Morgen, als ich total durch den Wind war. Casey dachte also, dass ich mir so einen Kopf wegen ihr mache, dass ich meinen Schulkram vernachlässige und im Geländelauf durchhänge. Sie ging also einfach mal davon aus, dass ich mein ganzes Leben auf Eis lege, nur um mir Sorgen um sie zu machen? Wie arrogant war das denn! Ich hatte doch noch jede Menge andere Sachen am Laufen als meine Freundschaft mit Casey! Jede Menge!
In meinen Groll gegen sie mischte sich noch ein anderer Gedanke. Diese ganzen Sachen, die meine Mutter angeblich für sie getan hatte â nichts davon hatte ich gewusst. Mom hatte doch gar keine Ahnung, wie man Bücher auftreibt. Sie kannte keinen Menschen an der Uni. Was wusste sie schon über Mikroskope? Mom hatte keinen Schimmer davon, wie es in der richtigen Welt zuging. Sie war doch nur Pflegerin in einem Altenheim â und oft genug war sie selbst dafür zu sehr neben der Spur. Casey machte sicher Witze.
Aber andererseits hat Casey noch nie Witze über meine Mutter gemacht. Sie kannte eine Seite an meiner Mutter, die ich nie vermutet hätte. Das wiederum erinnerte mich daran, dass ich noch andere Gründe hatte, sauer auf sie zu sein.
Ich hasste sie.
Und trotzdem fehlte sie mir.
Ich war fest entschlossen, die nächste Nacht durchzuschlafen. Als ich wieder früh um zwei aufwachte, blieb ich im Bett. Meine Beine wollten Rad fahren, aber ich lieà sie nicht. Ich versuchte alles Mögliche, um wieder einzuschlafen, aber es war bestimmt schon vier, als ich endlich wieder einduselte. Ich träumte immer wieder, dass ich falle, und in dem Moment, als ich fast auf dem Boden aufschlug, wachte ich wieder auf. Dann döste ich wieder ein. Das war so dermaÃen unerholsam, dass ich auch gleich hätte Rad fahren können.
Am nächsten Tag nach der Schule zog ich wieder mit der Clique los. Casey erwähnten wir nach wie vor nicht. Eigentlich redeten wir über gar nichts so richtig, aber ich fandâs toll. Und ich hatte auch kaum ein schlechtes Gewissen, weil ich mein Lauftraining geschwänzt hatte. Es war noch genug Zeit, um mir eine Ausrede für die Trainerin auszudenken.
Beim Abendessen war Mom sehr still. Sie aà kaum etwas. Ich hätte fragen können, was mit ihr los war, aber ich wollte es eigentlich gar nicht wissen. Dad war wahrscheinlich mal wieder überhaupt nichts aufgefallen.
In der Nacht fuhr ich dann wieder mit dem Rad los. Es ist eh sinnlos, mich dagegen aufzulehnen, dachte ich, als ich mich um zwei Uhr morgens wieder im Bett hin und her wälzte. Wenigstens machte ich auf die Weise ein bisschen vom verpassten Training wett.
Nachdem ich eine Weile ziellos umhergeradelt war, bog ich in Caseys StraÃe ein. Schon im Näherkommen bemerkte ich, dass etwas nicht stimmte. Lautlos stellte ich mein Rad hinter dem Forsythienbusch eines Nachbarn ab und schlich näher.
Mehrere Leute in meinem Alter machten sich an Caseys Haus zu schaffen. Sie hatten den Rollstuhltransporter ihres Vaters komplett mit Farbe übergossen und jetzt warfen sie gerade Farbe an die Fenster und die Hauswand. Ich konnte die Lösungsmittel schon von Weitem riechen. Sie hatten eimerweise Farbe dabei.
Zwei von ihnen schrieben etwas auf die StraÃe vor dem Haus. »Los, macht hin!«, flüsterte jemand. Ein anderer unterdrückte ein Lachen.
Sie lieÃen die leeren Farbeimer auf der StraÃe und im Vorgarten liegen, stiegen in ihr Auto und fuhren an mir vorbei. Im Vorüberfahren wurden ihre Gesichter in der StraÃenbeleuchtung sichtbar. Es war die Clique aus dem Cactus. Amber entdeckte mich im Gebüsch. Mit zwei Fingern deutete sie eine Pistole an, dann verschwanden sie in der Dunkelheit.
Ich ging näher und warf einen Blick auf die Zerstörung, die sie hinterlassen hatten. Giftige Farbe sickerte ins Gras, in die Blumenbeete, in die Ziegel des Hauses. Das Familienauto war leuchtend gelb angepinselt. Auf der StraÃe, neben einem
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