Rosenberg, Joel - Hüter der Flamme 05
»Trinken wir aus und hauen uns aufs Ohr. Morgen packen wir und übermorgen geht es los.«
Jason konnte nicht schlafen. Es wäre schön gewesen, jemanden zu haben, der ihm die Hand hielt, während er einschlief, doch es gab niemanden, nicht mehr. Valeran war tot, ebenso Chak. Mutter stützte sich jetzt auf ihn, selbst wenn sie es nicht ahnte. Doria war weit weg und Karl Cullinane war tot.
Vielleicht. Vielleicht auch nicht.
Ausgerechnet die, die ihm mehr oder weniger nahestanden, mußten sterben. Vater. Valeran, Chak, sogar Vator. Der Dummkopf. Warum mußte er in einem Streit um einen Sklaven den Tod finden? Was hatte er jetzt davon?
Scheiße. Es ergab einfach keinen Sinn. Nichts ergab einen Sinn.
Jason saß in einem verwitterten Holzstuhl auf der Veranda des Neuen Hauses, schnitzte achtlos an einem Stück Kiefernholz und beobachtete das träge Pulsieren der Feenlichter im Westen. Irgendwo weiter weg zwitscherten Dicalas in den Bäumen.
Ein dunkler Schatten strich über ihn und das Haus hinweg: Ellegon auf seiner letzten Runde. Die Schutzvorrichtungen um das Tal verhinderten, daß jemand magische Geräte hereinschmuggelte, doch sie reagierten nicht auf Lebewesen, denen keinerlei Magie anhaftete. Obwohl der Drache sich dieser Tage nur selten in Heim aufhielt, waren die hier ansässigen Freischärler froh, die Zahl der Posten und die Dauer der einzelnen Schichten verringern zu können, wenn er einmal im Tal Station machte. Eine ungestörte Nachtruhe war etwas Kostbares.
Bist du irgendwo da draußen? Das war auch sinnlos. Wenn Karl Cullinane noch lebte, hätte nichts auf der Welt ihn von seiner Frau fernhalten können. War er aber tot, was versuchten Walter Slowotski und Ahira dann zu bewirken? Falls sie die Leute glauben machen wollten, er habe sich retten können, ergab es natürlich einen Sinn. Kein Sklavenhändler konnte sich damit brüsten, Karl Cullinanes Leichnam gesehen zu haben - doch sie konnten unmöglich hoffen, diese Täuschung über längere Zeit hinweg aufrechtzuerhalten. Irgenwann mußte die Wahrheit durchsickern.
Doch vielleicht war er tatsächlich noch am Leben? Jason hatte seinen Vater nicht sterben sehen; sie alle hatten von einem verwundeten Karl Cullinane Abschied genommen, und dann waren sie Zeugen der vernichtenden Explosion geworden.
Konnte es sein, daß es ihm gelungen war, die Sprengladung aus einiger Entfernung zu zünden, so daß er unverletzt blieb?
Unmöglich war es nicht. Oder doch?
Er konnte überlebt haben. In diesem Falle blieb es Jason erspart, seine Nachfolge anzutreten. Vorläufig.
Ein herrliches Gefühl. Als wäre ihm eine Last von den Schultern genommen worden. Oder als würde sie ihm gerade jetzt von den Schultern genommen - das vermochte er nicht genau zu beurteilen.
Doch es war ein herrliches Gefühl.
Hinter ihm öffnete sich die Tür. Licht fiel nach draußen und vertrieb die Dunkelheit, ohne sie allerdings ganz besiegen zu können. Als Jason sich umdrehte, sah er Lou Riccetti, einen Hausmantel aus Baumwolle über einer der in Heim gefertigten Jeans, an den Füßen Holzlatschen. Unter einem Arm trug er einen Holzkasten und eine Flasche, in der anderen Hand hielt er eine Laterne. Er stellte die Laterne auf den Tisch.
»Warum schläfst du nicht um diese Zeit?« erkundigte sich Jason.
»Das wollte ich dich fragen.« Riccetti lachte in sich hinein. »Du solltest in den Federn liegen.« Er entkorkte die Flasche mit den Zähnen und spuckte den Stopfen vorsichtig auf den Tisch. Den Kasten stellte er neben Jasons Ellenbogen. »Vielleicht hilft ein Tropfen Magentrost.« Er trank mit zurückgeneigtem Kopf, wischte sich mit dem Handrücken den Mund ab und reichte die Flasche Jason.
Jason nippte aus Höflichkeit von dem starken Schnaps. Das Zeug schmeckte gräßlich - er vermochte die Vorliebe der Anderseiter für aus Mais gebrannten Whiskey nicht zu teilen. Nein, das war ungerecht. Heim betrieb einen bescheidenen, aber durchaus florierenden Handel mit Riccettis Magentrost, trotz der zunehmenden Konkurrenz neuer Brennereien überall in Eren, in dem von Zwergen besiedelten Norden und dem Elfenland im Osten.
Ein paar Minuten lang saßen sie schweigend beisammen und ließen die Flasche zwischen sich wandern.
»Der Rat hat mich beauftragt, dir den Verkauf von Schießpulver an die Elfen auszureden«, ergriff Jason schließlich das Wort. »Aber wirst du mir überhaupt zuhören?«
»Ich werde zuhören, doch verfahren werde ich nach meinem eigenen Gutdünken. Rechne nicht
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