Rosenberg, Joel - Hüter der Flamme 05
verloren, an den Laheran sich aus seiner Lehrzeit in der Gilde erinnerte.
Während sie nebeneinander durch den Garten spazierten, spielte Yryn gedankenverloren mit einem sonnengebleichten Stück Leder. Seine Finger mit den abgekauten Nägeln streichelten das Leder, als handle es sich um einen magischen Talisman.
Es gab wenig genug auf der Welt, dessen man ganz gewiß sein konnte, dachte Laheran, aber das Lederstück verfügte mit Sicherheit über keinerlei Zauberkraft. Es war von einem kompetenten Magier sorgfältig untersucht worden, einem Meister der Magiergilde von Pandathaway, und wenn man sich auf die Magier auch nicht in jedem Fall unbedingt verlassen konnte - beispielsweise sagte man ihnen nach, Feiglinge zu sein - vermochten sie doch zuverlässig zu erkennen, ob ein Gegenstand magische Eigenschaften besaß.
Der Innenhof des Gildehauses der Sklavenhändler
war ein Ort der Ruhe und Besinnung. Verborgen in einem Geviert stets makellos gestutzter Hecken, umstanden Marmorbänke einen nie mehr als knöchelhohen Rasen. Aufrechterhalten wurde diese unerbittliche Präzision von einer Schar Sklaven, die jede Nacht beim Schein rauchender Fackeln mit ihren Scheren ans Werk ging.
Die Blumen bildeten eine Ausnahme. Ein Gärtner, der Gilde durch einen Treueschwur verbunden, trug die Verantwortung für ihr Gedeihen. Blumen waren etwas anderes, dachte Laheran, während er sich bückte, um den Duft einer blutroten Rose einzuatmen. Sie brauchten liebevolle Aufmerksamkeit und nicht erzwungene Pflege.
Laheran liebte den Garten. Es war der einzige stille Ort in der Stadt, das einzige Refugium vor dem Lärm und Getriebe und Gestank Pandathaways.
»Du mußt Karl Cullinane unschädlich machen«, wiederholte der Gildemeister, als hätte Laheran ihn nicht gehört.
»Das sagtest du bereits.« Laheran hielt tadelnd den Zeigefinger in die Höhe und hoffte, Yryn würde ihm für seine Frechheit die Hand herunterschlagen. Im stillen flehte er den Gildemeister an, etwas von seiner Autorität spüren zu lassen.
Doch der ältere Mann nickte nur.
Laheran hätte weinen mögen. Der Gildemeister hatte sich nicht mehr im Griff. Wie lange würde es noch dauern, bis auch die Führung der Gilde seinen Händen entglitt?
Es war ein schlechter Zeitpunkt, um Pandathaway zu verlassen. Vielleicht waren Laherans Aussichten auf den Posten des Gildemeisters gering - nie war ein Gildemeister jünger als dreißig gewesen und nur
selten jünger als vierzig -, doch als jüngstem Obmann der Gilde war es ihm nicht ganz unmöglich, einen gewissen Einfluß auf den Ausgang der Wahl auszuüben.
Wenn es überhaupt eine Wahl gab. Vielleicht war es Stabilität, was die Gilde jetzt am dringendsten brauchte, selbst wenn in deren Aufrechterhaltung jemand die Rolle der Grauen Eminenz übernehmen mußte.
Laheran nahm das Leder entgegen, das ihm gereicht wurde. Das Stück war etwa zwei Hände breit und nicht von der besten Qualität, vermutlich stammte es von einem ledernen Futter- oder Proviantsack.
Auf der rauhen Oberfläche waren Buchstaben zu erkennen; bei genauerem Hinsehen erkannte Laheran, daß man als Schreibflüssigkeit Blut verwendet hatte. Der größte Teil des Geschriebenen blieb ihm ein Rätsel, obwohl er annahm, daß es sich um die fremdartige Sprache handelte, die sich durch die Aktivitäten Karl Cullinanes und seiner Freunde allmählich zu einer in Eren und darüber hinaus gebräuchlichen Handelssprache entwickelte.
Doch unter den Schriftzeichen, die er nicht zu entziffern vermochte, standen drei Worte in seiner Muttersprache:
Der Krieger lebt, verkündeten sie. Darunter waren drei grob ausgeführte Zeichnungen zu erkennen: ein Schwert, eine Axt und ein Dolch - Hinweise darauf, daß Karl Cullinane die Sklavenhändler mit jeder Waffe bekämpfen wollte, die gerade zur Hand war.
Es war das dritte derartige Stück Leder, das Laheran zu Gesicht bekam. Das erste hatte er selbst aus Melawei mitgebracht; es war an den Leichnam eines Gildebruders geheftet gewesen. Ein Axthieb hatte den Mann vom Scheitel bis fast zur Taille gespalten.
Das zweite war in Ehvenor gefunden worden, an den Griff eines Schwertes gebunden, dessen Klinge drei Leiber durchbohrt hatte. Die Mörder hatten die Sklavenhändler entweder in einer dunklen Gasse entdeckt oder sie hineingezerrt als sie tot, tot und tot waren.
Diese dritte Botschaft war in Lundeyll aufgetaucht, in dem Zimmer eines Gasthauses dort, wieder an die Leiche eines Sklavenhändlers geheftet, diesmal mittels eines
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