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Rosendorn

Rosendorn

Titel: Rosendorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenna Black
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Männer, die mich angegriffen haben, waren Menschen. Ich weiß nicht, für wen sie arbeiten, doch in London können sie dich ganz leicht verfolgen. Nein, wir müssen dich an einen sicheren Ort bringen – zumindest, bis Seamus wieder frei ist.«
    Ich fühlte mich irgendwie benommen, so als hätte mein Gehirn beschlossen, nicht mehr aufnehmen zu können und deshalb in Streik zu treten. Tante Grace sah echt besorgt aus, und der Bluterguss auf ihrer Backe war übel. Trotzdem – nur, weil irgendjemand sie angegriffen hatte, bedeutete das doch noch längst nicht, dass sie hinter
mir
her waren. Ich meine, mal ernsthaft: Ich bin ein sechzehnjähriges amerikanisches Halbblut-Mädchen. Wieso sollte es hier um mich gehen?
    »Lachlan wird dich zu einem sicheren Unterschlupf bringen«, sagte Grace und gab dem Riesen ein Zeichen. »Ich mag vielleicht ein reizvolles Angriffsziel sein, aber er ist das garantiert nicht.«
    Ich betrachtete Lachlan, der noch immer in der Tür stand. Die bösen Jungs mussten bestimmt nur einen Blick auf ihn werfen, um umgehend die Flucht zu ergreifen. Seine riesigen Arme hatte er über dem Türsturz verschränkt, was seine enorme Größe noch unterstrich. Er warf mir ein Lächeln zu, das irgendwie warmherzig wirkte, obwohl er natürlich immer noch ein echt furchteinflößender Kerl war. Ich verspürte selbst das Bedürfnis wegzurennen, doch Grace würde mir das bestimmt nicht durchgehen lassen.
    »Also gut«, sagte ich und tat so, als hätte ich eine Wahl. »Ich werde mit Lachlan zu dem sicheren Unterschlupf gehen.«
    »Eine weise Entscheidung«, entgegnete Grace und versuchte vergeblich, den Sarkasmus in ihren Worten zu verbergen.
    Sie ging zu einer Kommode, die ich bis jetzt noch nicht genauer betrachtet hatte, und durchwühlte die Schubladen. Schließlich nahm sie einen langen schwarzen Umhang mit einer großen Kapuze heraus. Der Mantel sah aus wie eine Mönchskutte. Sehr düster. Sie hielt ihn mir entgegen.
    »Zieh das an«, befahl sie. »Und setz die Kapuze auf.«
    Der Umhang gehörte offensichtlich ihr, und er war mir viel zu lang. Ihr Blick verfinsterte sich, als sie sah, dass der Stoff über den Boden schleifte.
    »Nicht zu ändern«, hörte ich sie murmeln. »Also, auf geht’s, ihr beiden«, fuhr sie laut fort. »Heute Nacht solltest du auf jeden Fall in Sicherheit sein, und morgen kann Seamus sich hoffentlich selbst um dich kümmern.«
    Ich wollte nach meinem Gepäck greifen, aber Grace schüttelte den Kopf. »Ich werde es dir nachschicken«, sagte sie.
    Eingehüllt in den Mantel und darauf bedacht, nicht über den Saum zu stolpern, ging ich zur Tür, wo Lachlan auf mich wartete. Er nickte mir nur knapp zu und stieg schweigend die Treppe hinunter, gebückt und leicht seitwärts gehend, damit er mit Kopf und Schultern nicht anstieß.
    Im Erdgeschoss führte er mich aus der Hintertür. Ich fühlte mich lächerlich, in einem schwarzen Umhang mit Kapuze herumzulaufen – wie eine Art geschrumpfter Sensenmann –, doch wenigstens hielt der Mantel mich einigermaßen warm. Ich trippelte neben Lachlan her und bemühte mich, nicht auf den Stoff des viel zu langen Mantels zu treten. Die Kapuze nahm mir praktisch die gesamte Sicht.
    Es war Sommer, aber hier in Avalon waberte kalter grauer Nebel durch die Straßen. Sogar unter der schweren Wolle des Mantels spürte ich die Kälte.
    »Keine Sorge«, erklang eine sehr tiefe Stimme, die offensichtlich zu Lachlan gehörte. »Wir sind gleich da. Dann hast du es warm und gemütlich.« Sein Akzent erinnerte an den von Grace. Allerdings klang seine Stimme am Ende eines Satzes fast wie ein angenehmes, sanftes Summen. Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht gesagt, dass er sich nett anhörte. Ich fragte mich, ob er auch ein Angehöriger des Feenvolkes war. Er sah nicht so aus – oder zumindest kam er meiner Vorstellung davon, wie eine Fee auszusehen hatte, nicht sehr nahe. Offensichtlich hatte ich nicht besonders viel Ahnung.
    Der »warme, gemütliche« Ort, an den Lachlan mich brachte, stellte sich als ein Keller heraus, der, dem Duft nach zu urteilen, unter einer Bäckerei lag – ich wollte einen Blick auf die Umgebung werfen, doch Lachlan trieb mich nach unten, ehe ich mich genauer umsehen konnte. Der Keller war in zwei Räume unterteilt. Der eine sah verdächtig nach einer Wachstube aus; der andere wirkte wie eine Zelle und hatte eine Tür, die ungefähr fünfzehn Zentimeter dick und mit einem schweren Holzbalken gesichert war.
    Ich stockte.

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