Rosendorn
Macht und könnte dir eines Tages nützlich sein. Du hättest seine Wirkung gar nicht gespürt, wenn du nicht eine natürliche Veranlagung zur Magie hättest. Ein Mensch, der die Kamee trägt, würde nichts fühlen. Also, wir haben diese Unterhaltung nie geführt. Verstanden?«
Mit Augen, die ohne Zweifel so groß wie Untertassen waren, nickte ich. Warum hätte mein Vater mir ein »Objekt der Macht« geben sollen, wenn er der Meinung gewesen wäre, ich könnte nicht auf die Magie zugreifen? Hatte er irgendwie geahnt, dass ich sogar für einen Faeriewalker außergewöhnlich sein würde? Oder hatte er angenommen, dass die Kamee harmlos und nur ein Symbol meiner Zugehörigkeit zum Sommerhof sein würde, da ich sowieso keine Magie spürte? Wenn ich ihn nicht danach fragen konnte, würde ich die Antwort wahrscheinlich nie erfahren. »Und du wirst es niemandem erzählen?«, hakte ich nach. »Nicht einmal deinem Vater?«
»Was erzählen?«, erwiderte er, und obwohl er sich bemühte, trocken und geistreich zu klingen, entging mir seine Nervosität nicht.
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28 . Kapitel
M eine Uhr war im Graben kaputtgegangen, und Ethan trug seine nicht, also hatte ich keine Ahnung, wie lange wir schon unter der Brücke kauerten – außer natürlich, dass es für meinen Geschmack viel, viel zu lange war. Während wir dort saßen, machte ich mit einem neuen Schmerz Bekanntschaft. Offenbar reagierte meine Haut nicht so positiv auf das Haar von Wasserhexen, denn an meinen Unterschenkeln, wo die Kreatur mich gepackt hatte, bildeten sich feuerrote Quaddeln.
Die Bläschen brannten und stachen, und als Alistair endlich jemanden gefunden hatte, der die Falltür öffnen konnte, die unter die Brücke führte, spürte ich, wie fiebrige Hitze in meine Wangen stieg. Mit einer Art Geschirr zogen sie mich durch die Falltür. Ich hätte bestimmt Panik gehabt, wenn ich mich nicht so furchtbar gefühlt hätte. Vielleicht wäre jeder – inklusive
mir
– besser dran gewesen, wenn ich einfach hinabgestürzt und auf den Betonfußboden unter mir aufgeschlagen wäre. Doch ich fiel nicht.
Alistair und mein Vater warteten auf der Brücke auf mich und halfen den Rettungskräften dabei, mir den Gurt abzuschnallen. Ich blickte meinem Vater in die Augen, als sie sich an den Verschlüssen zu schaffen machten, die mich sicherten. Er sah blass und besorgt aus, ungeduldig, mich aus dem Geschirr zu befreien.
»Mom?«, flüsterte ich voller Angst und bemühte mich, nicht schon wieder in Tränen auszubrechen.
Dad nickte mir beruhigend zu. »Sie ist in Sicherheit.«
In dem Moment versuchte ich nicht länger, meine Tränen zurückzuhalten. Ich konnte nicht mehr stehen, und als alle Schnallen und Gurte endlich gelöst waren, hob mein Vater mich hoch und trug mich zu seinem Auto, das in all seiner leuchtend roten Pracht auf dem Parkplatz stand und kaum zu übersehen war.
»Warte!«, rief ich schwach und sah zu Alistair.
Er beobachtete gerade, wie das Rettungsteam den Gurt wieder hinabließ, aber er schien meinen Blick auf sich zu spüren, denn er wandte sich mir zu.
»Tante Grace«, sagte ich. »Was ist mit ihr passiert?«
Alistairs ohnehin schon schmale Lippen verschwanden beinahe, als er sie fest aufeinanderpresste und den Kopf schüttelte. »Sie ist mir entwischt.« Er zwang sich um eine ironisch-belustigte Miene, die jedoch seine Augen nicht erreichte. »Ich fürchte, ich war kurz abgelenkt, als sie dich in den Graben geschleudert hat.«
Mein Blick richtete sich auf das Tor nach Faerie, und Alistairs leichtes Nicken bestätigte, dass Grace dorthin verschwunden war. Warum rechnete ich damit, dass sie nicht für immer dort bleiben würde?
Ich verlor das Bewusstsein, noch ehe mein Dad mich in seinen Wagen gesetzt hatte. Als ich wieder zu mir kam, fand ich mich in einem Krankenhausbett wieder. Die Schmerzen und Qualen, an die ich mich erinnerte, waren weg, aber mein Kopf pochte wie wahnsinnig, und ich schwitzte, als wären es in dem Zimmer hundert Grad. Ich stöhnte und drehte mich auf die Seite.
Finn saß auf einem Besucherstuhl neben meinem Bett – zwischen mir und der Tür natürlich. Ich vermutete, dass er wieder seiner Pflicht als Bodyguard nachkam und Wache hielt, doch es fühlte sich gut an, beim Aufwachen nicht allein zu sein. Er blätterte in einer Zeitschrift, klappte sie aber sofort zu und legte sie zur Seite, als er bemerkte, dass ich wach war.
Meinem Magen ging es nicht viel besser als meinem Kopf, und einen Moment lang fürchtete
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