Rosendorn
Danas Erziehungsberechtigte, und du kannst mich nicht aufhalten.« Sie wandte sich mir zu. »Pack deine Sachen, Dana. Wir brechen auf, sobald du fertig bist.«
Sie klang sich ihrer Sache sehr sicher, aber nicht einmal in ihrem betrunkenen Zustand konnte sie ernsthaft glauben, dass es so einfach sein würde. Trotzdem stand ich auf und hoffte, dass dies meine Chance war zu entkommen.
»Sei nicht albern, Cathy«, entgegnete Dad und warf mir einen ernsten Blick zu, der mir ohne Worte klarmachte, dass ich besser wieder Platz nahm. Zögerlich gehorchte ich.
Mom sah ihn vernichtend an. »Falls du denkst, du kannst Dana hierbehalten …«
»Dann habe ich recht!«, versetzte er. »Wie gedenkst du, sie ohne mein Einverständnis mitzunehmen?«
Mom wankte.
»Eigentlich möchte ich, dass wir zusammenarbeiten, um unsere Tochter zu beschützen«, fuhr Dad mit harter Stimme fort. »Aber wenn du das Gefühl hast, wir
müssen
aneinander vorbeiarbeiten, dann sei versichert, dass ich einen Sorgerechtsprozess angestrengt habe, noch ehe du aus der Tür bist. Selbst wenn Dana kein besonderer Fall wäre, hätte ich guten Grund, an meinen Sieg zu glauben, wenn ich bedenke …« Stumm blickte er auf das Glas, das noch immer auf dem Couchtisch stand.
Mom wurde blass, und ein unbehagliches Gefühl schnürte mir den Magen zusammen. Ich hatte natürlich schon vorher Beweise gesehen, dass mein Vater zu einem gewissen Maß an Skrupellosigkeit imstande war. Doch sosehr ich Moms Alkoholsucht auch hasste, war es von ihm ein Schlag unter die Gürtellinie, ihre Krankheit gegen sie zu verwenden.
Der Ausdruck auf Dads Gesicht wurde weicher, und er seufzte. »Ich wollte nicht, dass diese Diskussion mit Drohungen endet«, sagte er leise.
Mom schluchzte. Ich blickte auf und sah, dass ihr Tränen über die Wangen rannen. Ausnahmsweise einmal glaubte ich, dass die Tränen Ausdruck echten Schmerzes waren und kein Versuch, Mitleid zu erwecken. Mir fiel nichts Tröstliches ein, das ich hätte sagen können, also ergriff ich spontan ihre Hand und drückte sie.
»Alles wird gut, Mom«, sagte ich, obwohl ich bezweifelte, dass einer von uns das glaubte.
»Es tut mir leid, Cathy«, erklärte Dad. »Aber ich muss das tun, was meiner Meinung nach das Richtige für Dana ist.«
Sie hob ihr Kinn an und blinzelte die Tränen weg. »Das tue ich auch, Seamus.«
Sie löste ihre Hand von meiner, legte dann beide Hände auf meine Schultern und drehte mich zu sich. »Ich werde dich hier rausholen, Süße, das verspreche ich dir.« Dann küsste sie mich aufs Haar, als wäre ich sechs Jahre alt, warf Dad noch einen letzten finsteren Blick zu und ging zur Tür.
Ich überlegte, ob ihr aufgefallen war, dass sie mich nie gefragt hatte, was
ich
wollte. Zwar war ich mir nicht sicher, ob ich ihr darauf eine Antwort hätte geben können, doch es wäre nett gewesen zu denken, dass meine Meinung auch etwas zählte.
»Dana …«, begann Dad, als die Tür hinter meiner Mom ins Schloss gefallen war, aber ich hob abwehrend die Hand, um ihn zum Schweigen zu bringen. Zu meiner Überraschung gab er nach.
»Ich brauche etwas Zeit, um nachzudenken«, sagte ich, ohne ihn anzusehen. »Können wir bitte … später darüber reden?« Ich warf nur einen flüchtigen Blick auf ihn, doch was auch immer er empfand, er hielt es hinter einer bewusst neutralen Miene verborgen.
»Ich verstehe«, entgegnete er, und ich hatte den Eindruck, dass das tatsächlich stimmte. »Nimm dir so viel Zeit, wie du brauchst.«
Ich nickte stumm, mein Hals war zu zugeschnürt, um etwas zu erwidern. Ich hätte nicht erklären können, warum genau ich den Tränen nahe war, doch es war so. Also zog ich mich eilig zurück, ehe ich vor Publikum die Fassung verlor.
Mindestens eine Stunde verbrachte ich allein in meinem Zimmer. Ich hatte die Knie an die Brust gezogen und versuchte herauszufinden, was ich eigentlich wollte. Die Wahrscheinlichkeit war hoch, dass meine Wünsche nur wenig mit dem zu tun haben würden, was ich wirklich bekommen würde, aber ich war es nicht gewohnt, mich in meinem eigenen Verstand nicht mehr zurechtzufinden.
Eine ganze Menge Gewissenserforschung brachte mich zu der unvermeidlichen Schlussfolgerung, dass ich das Unmögliche wollte: Ich wollte bei meiner Mutter leben, jedoch ohne ihren Alkohol. Und ich wollte nicht, dass mein Dad wieder total aus meinem Leben verschwand. Oh, und ich wollte mich nicht für den Rest meiner Tage vor Attentätern verstecken müssen.
Es war eine
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