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Rosendorn

Rosendorn

Titel: Rosendorn Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jenna Black
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einfach viel Übung darin, sich zu unterhalten, wenn sie besoffen war, also brauchte es
sehr viel
Alkohol, damit es einem oberflächlichen Betrachter auffiel. Aber ich war geübt, und mir waren die Anzeichen nur allzu vertraut.
    Wenn meine Mutter betrunken ist, redet sie viel langsamer als sonst. Außerdem schwingt dieser verpennte Tonfall in ihrer Stimme mit – so als wäre sie mitten in der Nacht aus dem Schlaf geschreckt. Und genau so klang sie jetzt. All die warmen, wohligen Gefühle, die ich verspürt hatte, seit ich erfahren hatte, dass sie mir hinterhergereist war, lösten sich in nichts auf.
    »Du konntest es einfach nicht abwarten, endlich mit dem Trinken anzufangen, oder?«, fragte ich, und meine Stimme war vor Wut angespannt. »Sobald du dir sicher warst, dass ich nicht tot bin, hast du dich, ohne groß nachzudenken, auf den Schnaps gestürzt. Obwohl du gewusst hast, dass ich auf deinen Anruf warte.«
    »Diese Schlussfolgerung nehme ich dir übel!«, fauchte sie. »Ich habe
nicht
getrunken.«
    Aha, der andere von Moms Klassikern, bei denen ich mir die Haare raufen wollte. Wenn sie einfach zu Hause saß und Fernsehen schaute, gab sie auf Nachfrage zu, »ein bisschen beschwipst« zu sein. Doch wenn sie getrunken hatte, statt etwas zu tun, was sie eigentlich hätte tun sollen, gestand sie es unter keinen Umständen. Selbst wenn ihr Atem nach Alkohol stank, schwor sie, keinen Tropfen gehabt zu haben, und selbstverständlich gab es einen guten Grund, warum sie vergessen hatte, Lebensmittel zu kaufen, oder warum sie es nicht zu dem Lehrer-Eltern-Gespräch geschafft hatte oder warum sie den Gasversorger nicht angerufen hatte, um das kleine Missverständnis bezüglich der Rechnung zu klären. Was auch immer.
    Mit einem Schlag war alles wieder da, und ich wusste wieder, warum ich von zu Hause weggelaufen war. All meine Ängste wegen meiner Zukunft waren angesichts der Welle der Wut und des Schmerzes, die über mir zusammenschlug, vergessen. Wie sollte ich es aushalten, mir wieder die ewigen Lügen und Entschuldigungen anzuhören? Wie sollte ich meine Enttäuschung verarbeiten, um nicht zu einer schreienden Wahnsinnigen zu werden? Wie konnte ich dabei zusehen, wie Mom weiterhin eine Gehirnzelle nach der anderen zerstörte?
    »Ich habe nicht getrunken!«, wiederholte meine Mutter noch lauter, als ich nichts sagte.
    Wie hatte ich auch nur einen Moment lang die Hoffnung zulassen können, dass meine Flucht von zu Hause sie endlich davon überzeugen könnte, dass es an der Zeit war, sich zu bessern? Aber der Schmerz, der mir jetzt einen Stich versetzte und mir die Kehle zuschnürte, bewies, dass ich die Hoffnung gehabt hatte – auch wenn ich es hätte besser wissen müssen.
    »Warum kannst du es nicht einfach zugeben? Du
weißt,
dass ich es weiß, also warum kannst du nicht sagen, dass du betrunken bist?« Fragt nicht wieso, doch irgendwie glaubte ich, dass ich mich besser fühlen würde, wenn sie die Wahrheit gestand und aufhörte, so zu tun, als wäre ich zu doof, um es zu erkennen.
    »Das ist jetzt nicht dein Ernst, Dana. Ich habe deinetwegen Todesängste ausgestanden und bin um die halbe Welt geflogen, um dich zu suchen, und das ist der Dank dafür?«
    Dann flossen selbstverständlich die Tränen.
    Als ich noch jünger war, hatte ich mich jedes Mal wie aufs Stichwort schuldig gefühlt, sobald sie angefangen hatte zu weinen. Aber inzwischen machte es mich nur noch wütender. Ich sagte nichts, saß nur mit zusammengebissenen Zähnen und geschlossenen Augen da und wartete darauf, dass sie erkannte, dass ihre Tränen mich nicht berührten.
    Irgendwann beruhigte sie sich wieder, und ich hörte, wie sie sich geräuschvoll die Nase putzte. Und ich bin mir sicher, dass auch das Schwappen einer Flüssigkeit in einer Flasche durch den Telefonhörer drang.
    »Geht es dir gut, Süße?«, fragte sie, als hätte die vorangegangene Unterhaltung gar nicht stattgefunden.
    Ich versuchte, es ihr gleichzutun, doch es war schwierig, die Worte durch meinen schmerzhaft zugeschnürten Hals zu bringen. »Ja. Bei mir ist alles in Ordnung. Dad kümmert sich wirklich gut um mich.«
    »Natürlich tut er das. Dein Vater ist kein schlechter Kerl. Vor ihm musste ich dich auch nie beschützen. Es ging nur um … diesen Ort.«
    »Ich mag Avalon«, hörte ich mich aus lauter Trotz sagen.
    Mom wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte. Alkohol und eine geistreiche Unterhaltung passen eben nicht zusammen.
    »Der Bodyguard hat gesagt, dass es

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