Rosengift - Die Arena-Thriller
wie verwegen, elektrisierte Matilda: Sie wird mir doch nicht… Matildas Überlegungen wurden unterbrochen, denn Nicole tippte ihr auf die Schulter: »Gibt’s noch irgendwo Prosecco?«
»Ähm, ja, klar. In der Küche, komm mit.«
Nicole folgte ihrer Freundin, kurz vor der Küchentür zog sie Matilda plötzlich an der Hand zu sich heran und flüsterte: »Sag mal, Matilda, ist die Tussi mit dem Augenbrauenpiercing die Freundin von deinem Cousin?«
»Tja. Das ist Juliane«, erklärte Matilda. »Mal ist sie seine Freundin, mal wieder nicht, da kennt sich niemand so genau aus – die beiden vermutlich auch nicht. Im Moment scheint sie es gerade mal wieder zu sein.«
Nicole zog einen Schmollmund. »Schade.«
Matilda war überrascht. Seit wann interessierte sich Nicole für Miguel? Oder war das Ganze ein Scherz? Aber nein, Nicole schien ehrlich ein bisschen enttäuscht zu sein. »Nimm es nicht tragisch«, tröstete Matilda ihre Freundin. »Miguel ist ziemlich langweilig, er sitzt Tag und Nacht am PC oder fummelt an seinen Pflanzen rum. Sein Zimmer ist der reinste Dschungel.« Kaum hatte sie die Worte ausgesprochen, bekam sie ein schlechtes Gewissen. Es war unfair, so schlecht über Miguel zu reden. Schließlich war er sehr rücksichtsvoll und nett zu ihr gewesen, als sie im letzten Sommer bei seiner Mutter und ihm eingezogen war. Er hatte sich sogar dazu bereit erklärt, mit seinem ganzen Computerkram und den Pflanzen unters Dach zu ziehen, damit Matilda im ersten Stock ein schönes, großes Zimmer bekam, das sie nach ihrem Geschmack gestalten konnte. Matilda war das damals alles ziemlich egal gewesen. Allein der Umzug nach Hannover hatte sie so viel Kraft gekostet, dass sie erst einmal überhaupt nichts unternommen hatte, um ihr neues Zuhause zu verschönern. Deshalb war es eine riesige Überraschung gewesen, als sie eines Nachmittags von der Musikschule gekommen war und festgestellt hatte, dass Helen und Miguel das Zimmer in ihrer Abwesenheit in Türkis und Zitronengelb gestrichen und türkis-weiß gestreifte Gardinen angebracht hatten. Matilda war vor Rührung in Tränen ausgebrochen und hatte sich ein paar Minuten lang gar nicht wieder beruhigen können. Ihr war eingefallen, dass Miguel sie zwei Tage zuvor etwas zusammenhanglos nach ihren Lieblingsfarben gefragt hatte. Ansonsten lebte Miguel zurückgezogen in seiner eigenen Welt. Er war neunzehn, vor wenigen Wochen hatte er mit Ach und Krach sein Abitur bestanden. Was er damit anfangen würde, wusste er allerdings noch immer nicht. Es hatte deswegen vor Helens Abreise einige ernste Diskussionen zwischen Mutter und Sohn gegeben, deren unfreiwillige Zeugin Matilda in dem hellhörigen alten Haus geworden war.
»Ich finde, er sieht knuffig aus. Man müsste ihn nur mal zum Friseur schicken«, meinte Nicole, die schon etliche Gläser Prosecco intus hatte.
»Knuffig«, wiederholte Anna, die hinzugekommen war, und schüttelte den Kopf. »Ein Typ sollte nicht knuffig aussehen! Ein Teddybär – ja, ein Kerl – nein!«
»Bei mir muss er knuffig aussehen«, beharrte Nicole, warf ihre Lockenmähne zurück und fügte hinzu: »Mit schönen Männern gibt’s nur Ärger, sag ich euch.«
Anna kicherte. Unwillkürlich wanderte Matildas Blick bei diesen Worten hinüber zu Patrick. Der große, breitschultrige Junge saß zusammen mit seinem Freund Jonas und zwei von Miguels Freunden auf dem Sofa im Fernsehzimmer und verfolgte das Fußballspiel. Patrick sah ohne Zweifel sehr gut aus. Seine Gesichtszüge waren fein und wirkten so harmonisch wie die einer griechischen Statue. Lange Wimpern umrahmten die stahlblauen Augen, blonde Haarsträhnen fielen ihm über die hohe Stirn. Nicht wenige Mädchen aus Matildas Klasse waren hinter ihm her. Matilda, Anna und Nicole besuchten die 10a, die Musikklasse des Gymnasiums, in der die Mädchen deutlich in der Überzahl waren. In der Parallelklasse 10b dagegen war es umgekehrt. Natürlich wusste Patrick, dass ihn nahezu die ganze Musikklasse anschmachtete, und es war offensichtlich, dass er diese Aufmerksamkeit genoss. Auch Matilda fand Patrick attraktiv, aber da war kein Kribbeln, wenn sie ihn ansah – oder er sie. Sie konnte nicht sagen, warum, es war eben so. Eigentlich verschwendete sie ohnehin nicht allzu viele Gedanken an Patrick. Erst seit Anna im Februar auf der Klassenfahrt nach Rom behauptet hatte, Patrick sei in Matilda verliebt, war das ein bisschen anders. Okay, er hatte sich wirklich auffallend häufig in ihrer Nähe aufgehalten,
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