Rosengift - Die Arena-Thriller
auch gerührt, dass sich Angela für sie so viel Mühe machte. Die Gäste hatten geklatscht und gejohlt und die Torte anschließend im Nu verputzt. Inzwischen war Angela nach Hause gegangen und seither floss reichlich Alkohol.
»Und wie läuft es bei dir?«, fragte Matilda ihre Tante.
Helen schnaufte. »Es ist anstrengend, aber schön. Wir sind gerade in Dallas, heute Abend treten wir auf, die Halle ist ausverkauft. Morgen früh geht es weiter nach San Antonio und dann an die Westküste. Bis jetzt waren die Konzerte sehr gut besucht. Ich kann es selber kaum fassen, dass sich die Amerikaner für deutschen Jazz begeistern können.«
Matilda hörte den Stolz in Helens Stimme und freute sich für sie. Vor der Tournee, die vor einem Monat in Amsterdam begonnen hatte, war ihre Tante noch ganz schön aufgeregt und auch ein bisschen verunsichert gewesen. Davon war nun nichts mehr zu spüren. »Die kommen alle nur wegen dir«, sagte Matilda. »Du bist die beste Saxofonistin aller Zeiten.«
»Das ist zwar maßlos übertrieben, aber es klingt gut.« Helens Lachen perlte durch den Hörer. Dann fragte sie ihre Nichte: »Was macht dein Geigenspiel, übst du fleißig?«
»Ja, tu ich.« Das konnte Matilda mit gutem Gewissen bestätigen.
»Sehr gut«, sagte Helen zufrieden. Die Musik war etwas, das Matilda mit ihrer Tante verband, auch wenn sie klassische Stücke bevorzugte, während Tante Helen sich dem Jazz verschrieben hatte. Das Geigespielen war der Rettungsring gewesen, an dem sich Matilda festgeklammert hatte, als vor einem knappen Jahr die Welt um sie herum in Trümmer zerbrochen war. Wenn sie spielte, vergaß sie alles um sich herum, dann gab es nur noch die wohlgeordnete Welt der Töne, die sie ihrem Instrument entlockte. Ihre Mutter hatte ebenfalls Geige gespielt, und wenn Matilda den Bogen über die Saiten gleiten ließ, fühlte sie sich ihr noch immer nahe. Es war in diesen Momenten, als bliebe die Zeit stehen, als sei das letzte Jahr ausgelöscht, einfach nicht geschehen. Das klang verrückt und deshalb hatte Matilda auch noch niemandem von diesem Gefühl erzählt, nicht einmal Helen wusste davon. Früher war sie eine eher mittelmäßige Geigenschülerin gewesen, die oft einen Vorwand fand, um die täglichen Übungen ausfallen zu lassen. Sie hatte damals sogar daran gedacht, das Geigespielen ganz aufzugeben. Doch seit dem Tod ihrer Eltern hatte die Musik einen ganz neuen Stellenwert in Matildas Leben bekommen. An manchen Tagen übte sie mehrere Stunden hintereinander und war selbst erstaunt, wie gut sie inzwischen spielte.
»Willst du noch mit Miguel sprechen?«, fragte Matilda.
»Ach, lass nur. Er wird sich nicht gerade freuen, wenn er jetzt ans Telefon muss. Dazu kennen wir ihn doch beide gut genug!« Helen lachte. »Grüß ihn einfach von mir.« Als sie fortfuhr, konnte Matilda durchs Telefon hören, dass ihre Tante lächelte: »Matilda, ich habe ein Geschenk für dich. Es liegt in meinem Schlafzimmer, auf dem Schrank. Aber am besten siehst du es dir erst morgen früh an, damit es nicht zu Schaden kommt auf eurer Party. Ich muss jetzt Schluss machen, Liebes, ich melde mich so bald wie möglich wieder. Amüsiert euch noch gut und lasst nach Möglichkeit die Möbel ganz.«
»Machen wir.« Matilda spürte, wie glücklich sie der späte Anruf gemacht hatte. Helen war einfach großartig! »Du bist die coolste Tante der Welt!«
»Das will ich meinen«, antwortete Helen. »Du bist ja auch meine Lieblingsnichte.«
»Ich bin deine einzige Nichte.«
»Du wärst auch meine Lieblingsnichte, wenn ich zehn Nichten hätte«, lachte Helen und dann klickte es und ihre Stimme war weg.
Matilda lächelte. Nun war ihr sechzehnter Geburtstag perfekt. Sechzehn! Schon ganz schön erwachsen! Wenn ihre Mutter sie heute sehen könnte und Papa… Plötzlich hatte sie einen Kloß im Hals. Obwohl sie noch vor wenigen Sekunden mit ihrer Tante gesprochen hatte, fühlte sie sich auf einmal sehr allein. Um sich abzulenken, rief sie sich Helens Worte von eben wieder ins Gedächtnis: Damit es nicht zu Schaden kommt… wiederholte sie im Geist die geheimnisvollen Andeutungen ihrer Tante. Am liebsten wäre Matilda sofort in Helens Schlafzimmer gegangen, um nach dem Päckchen zu sehen. Aber nein – sie durfte es ja erst morgen öffnen, wenn die Party vorbei war.Was war das wohl für ein empfindliches Geschenk? Helen hatte sie nicht nach einem Geburtstagswunsch gefragt und so war die Überraschung nun doppelt groß. Ein Gedanke, so unglaublich
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