Rosengift - Die Arena-Thriller
Flasche Jägermeister machte die Runde, gerade schenkte Miguel drei Schnapsgläser voll. Er fing Matildas Blick auf. »Auch einen?«
Sie schüttelte den Kopf, aber Nicole krähte: »Klar. Los, gib ’ne Runde aus!«
Nicoles Kopfschmerzen möchte ich morgen früh nicht haben, zum Glück ist Samstag, dachte Matilda. Aber dann probierte sie doch vorsichtig von dem Schnaps. Die braune Flüssigkeit war süßer, als sie angenommen hatte, und sie kippte den Rest auf ex hinunter. »Gar nicht so übel«, meinte sie und schüttelte sich.
Christopher, der mitgetrunken hatte, lachte. Dann wurde er schlagartig wieder ernst und fragte Matilda: »Wer hat es dir eigentlich gesagt?«
»Was gesagt?«, fragte Matilda verwirrt.
»Das mit deinen Eltern.«
Matilda war ein wenig schockiert über diese direkte und sehr persönliche Frage. Andererseits war das immer noch besser als betretenes Schweigen oder mitleidige Blicke, also antwortete sie. »Eine Polizistin, die einen Psychologen dabeihatte und den Pfarrer, der mich konfirmiert hat. Es war ganz komisch. Ich habe es erst gar nicht so richtig begriffen, ich hatte ja schon geschlafen. Sie sind auf dem Heimweg von einem Geschäftsessen beim Chef meines Vaters in einen Stau geraten, auf der Autobahn, und ein Lastwagen ist von hinten ungebremst auf sie draufgeknallt.« Wenn er schon so neugierig fragt, dachte Matilda, dann kriegt er auch gleich die ganze Horrorgeschichte zu hören.
»Grässlich.«
»Ja«, antwortete Matilda.
Für einen Moment herrschte Schweigen, dann sagte Matilda: »Ich bin froh, dass ich zu Helen ziehen konnte. Kennst du sie? Sie ist eine bekannte Saxofonistin.«
»Ich weiß, ich habe sie schon spielen gehört«, antwortete Christopher. »Ich spiele auch ein bisschen Saxofon, aber nur ganz schlecht.«
»Und was machst du sonst?«, wollte Matilda wissen. Sie war froh darüber, dass er das Thema gewechselt hatte.
»Im Moment nichts. Und du?«
»Ich hab noch zwei Jahre bis zum Abi. Wenn ich es schaffe, möchte ich Musik studieren.«
»Klar«, sagte Christopher und grinste. Schöne Zähne, dachte Matilda. Schöne Augen, schöner Mund… Er erinnerte sie an die römischen Jungs, die sie während ihrer Klassenfahrt gesehen hatte: coole, extrem gut aussehende Typen, die auf ihren Motorrollern ohne Helm durch die Straßen kurvten und vor den Cafés herumlungerten, ihr cellulare – ihr Handy – stets am Ohr. »Gott, sind die süß«, hatte Anna jedes Mal verzückt ausgerufen, wenn sie einen von ihnen entdeckt hatten, um sich gleich darauf zu beschweren: »Warum sehen die Jungs in Deutschland nicht so aus? Jetzt, wo ich die gesehen habe, gefallen mir diese Holzköpfe, die bei uns zu Hause rumlaufen, erst recht nicht mehr!«
»Sag Bescheid, wenn du dein erstes Konzert gibst.« Christopher lächelte sie an. Ehe Matilda etwas erwidern konnte, hatte er sich wieder Miguel und den beiden Mädchen zugewandt. Matilda seufzte. War ja klar, dass dieser Christopher sie nicht besonders interessant fand. Er war bestimmt auch schon neunzehn, so wie Miguel. Miguel interessierte sich auch nicht für Sechzehnjährige, seine Freundin Juliane war sogar schon einundzwanzig. War die Blonde Christophers Freundin? Matilda beschloss, ihren Cousin bei der nächsten Gelegenheit einmal gründlich über seinen Freund auszufragen.
Das Fußballspiel war zu Ende, im Wohnzimmer wurde die Anlage aufgedreht und der Teppich eingerollt. Matilda verließ die Küche auf der Suche nach ihren Freundinnen – Anna und Nicole hüpften schon übermütig auf dem Parkett herum. Patricks Kumpel Jonas machte linkische Verrenkungen, die mit viel Fantasie als Tanz durchgingen.
»Möchtest du tanzen?«, fragte Patrick Matilda.
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete Matilda. Sie tanzte nur, wenn sie alleine in ihrem Zimmer war, denn sie fand, dass sie beim Tanzen zu groß und zu knochig wirkte.
»Wollen wir im Garten eine rauchen?«
»Ich rauche nicht, aber wir können gerne rausgehen.« Ein bisschen frische Luft war vielleicht keine schlechte Idee, Matilda war von dem Schnaps schon ein wenig schwummerig geworden.
Der Garten war von hohen Sträuchern umgeben. Jetzt, im Juni, konnte man dem Gras und dem Unkraut beim Wachsen beinahe zusehen. Seltsamerweise hatte Miguel, der seine unzähligen exotischen Zimmerpflanzen akribisch hegte und pflegte, für die gewöhnlichen Gartenarbeiten wie Unkraut jäten, Sträucher schneiden und Rasen mähen überhaupt nichts übrig. Er und Helen lagen sich deswegen häufig in
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