Rosengift - Die Arena-Thriller
den Haaren. Matilda beschloss spontan, am Wochenende den Garten einigermaßen in Ordnung zu bringen, damit er in den nächsten Wochen nicht vollkommen verwilderte. Andererseits mochte sie es, wenn der Garten etwas unordentlich aussah. Sie fand ihn viel schöner und romantischer als den aufgeräumten Reihenhausgarten, der zu ihrem Elternhaus gehört hatte. Und zu der alten, etwas heruntergekommenen Villa ihrer Tante passte ein verwunschener Garten sowieso ganz gut.
Sie schlenderten über die Wiese und setzten sich dann auf eine steinerne Bank, die an einem sumpfigen Gartenteich lag. Eine Statue aus Granit, die Michelangelos David nachempfunden war, bewachte den Teich. Auf dem Wasser schwammen unzählige Seerosen.
»Der hat aber ’nen winzigen Pimmel«, hatte Nicole kichernd bemerkt, als sie den Garten zum ersten Mal betreten hatten, und dann hatten Nicole, Anna und Matilda darüber spekuliert, wie realitätsnah diese Darstellung wohl war.
Patrick dagegen ignorierte den nackten Steinmann. Er sah Matilda von der Seite an. »Du musst heute bestimmt besonders oft an deine Eltern denken.«
»Ja, das stimmt«, gestand Matilda. »Aber Weihnachten war schlimmer, alle haben fast nur geheult.«
»Das kann ich mir vorstellen.« Patrick nickte. »Aber Geburtstage sind auch so kritische Tage. Meine Mutter kriegt an meinem Geburtstag jedes Mal einen sentimentalen Anfall. Neulich, an meinem sechzehnten, hat sie sich das Video von meiner Geburt angesehen. Ich bin zufällig ins Zimmer gekommen, mir war danach kotzübel!«
Matilda musste lachen. »Schön, dass ihr heute gekommen seid.«
»Ist mir ein Vergnügen«, grinste Patrick. Er drückte ihre Hand und für einen Moment hatte es den Anschein, als wollte er sie festhalten, aber Matilda entzog sie ihm rasch.
Sie schwiegen eine Weile, dann sagte Patrick: »Weißt du, ich glaube, dass es mit den Toten so ist: Sie sind gar nicht wirklich weg, sie bleiben bei den Menschen, die sie geliebt haben.«
»Du meinst, so wie Gespenster?«
»Eher wie so eine Art Geist. Eine geistige, nicht materielle Existenzform oder so was.«
»Schon möglich.« Matilda nahm ihr Glas, das sie neben sich auf die Bank gestellt hatte, und trank einen Schluck. Der Gedanke hatte etwas Tröstliches. »Hast du denn schon mal jemanden verloren, den du gemocht hast?«
»Ja, meine Oma.«
»Und die erscheint dir als Geist?«
»Nein, natürlich nicht. Aber manchmal hab ich so ein Gefühl… als wäre sie da.«
Matilda nickte langsam. Ja, dieses Gefühl kannte sie nur zu gut. Aber sie wollte trotzdem jetzt nicht mit Patrick darüber reden, auch wenn sie angenehm überrascht von ihm war. So tiefsinnige Gedankengänge hätte sie ihm gar nicht zugetraut.
»Ich hoffe nicht, dass mir meine Oma Eleonore nach ihrem Tod erscheint. Die reicht mir schon lebendig«, sagte sie deshalb leichthin und grinste.
»Wieso?«
Matilda winkte ab. »Wenn du sie kennen würdest, wüsstest du es. Sie ist ein alter Drachen.«
Sie plauderten eine Weile über die Schule und – natürlich – über Fußball. Eigentlich, dachte Matilda, ist Patrick wirklich nett. Jedenfalls zu mir. Gerade hatte er sich nach dem Musikwettbewerb erkundigt, an dem Anna und Matilda in vier Wochen teilnehmen wollten. Anna hatte ihm offenbar davon erzählt.
»Es ist ein Wettbewerb für Jugendliche, der im Rahmen des Internationalen Violinwettbewerbs stattfindet«, erklärte Matilda stolz. »Der eigentliche Internationale Violinwettbewerb wird alle drei Jahre in Hannover im Opernhaus ausgetragen. Dabei treffen sich die besten jungen Geigerinnen und Geiger der ganzen Welt. Es sind inzwischen fast nur noch Chinesen, Japaner und Koreaner. Ich glaube, bei denen müssen sie schon im Kindergarten Geige lernen.«
»Du kommst bestimmt auch noch dahin«, prophezeite Patrick.
»Unsinn. Aber ich bin schon froh, dass ich beim Jugendcontest dabei bin. Allerdings sterbe ich jetzt schon vor Angst. Anna spielt übrigens auch mit, aber in einem Kammerorchester.«
»Wenn du so weit gekommen bist, dann musst du doch keine Angst mehr haben«, meinte Patrick sichtlich beeindruckt und versprach: »Ich werde auf jeden Fall hingehen und für dich johlen und klatschen.«
»Sehr nett, aber ich weiß nicht, ob das da so gut ankommt. Das ist was anderes als ein Poetry-Slam.« Sie erinnerte sich, dass Patrick ihr auf der Klassenfahrt erzählt hatte, dass er schon dreimal bei Poetry-Slams mitgemacht hatte. »Aber immer in anderen Städten, nicht hier«, hatte er erklärt. »Ich
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