Rosenherz-berbKopie
Schwarz-Weiß-Fotos werden.»
Die
Abzüge waren so groß, dass auf jede Seite des Albums nur ein Bild
passte. Das erste zeigte Karin Rosenherz vor ihrem
Kleiderschrank. Sie hatte einen Minirock und eine helle Bluse an. Man
sah sie von der Seite. Sie bückte sich, als wolle sie gerade einen
ihrer Pumps abstreifen. Ihr Gesicht war dem Betrachter zugewandt. Sie
lachte.
Auf
dem nächsten Foto hatte sie ein schwarzes Kleid an. Ihr Haar war
hochgesteckt. Um den Hals trug sie eine mehrreihige Kette aus
großen Perlen. Sie hatte die Augen weit geöffnet und hielt
eine lange Zigarettenspitze an ihre Lippen.
«Erinnert
Sie das Foto an etwas?», fragte Haberstock.
«Ja»,
sagte Marthaler. «Sie sieht aus wie Audrey Hepburn in Frühstück
bei Tiffany.»
«So
war sie», sagte Haberstock. «Sie wollte posieren. Sie wollte die
berühmten Porträts ihrer Vorbilder nachahmen.»
Er
blätterte weiter. Mal hatte Karin Rosenherz sich eine Filmszene mit
Marilyn Monroe als Vorlage ausgesucht, dann wieder sah sie aus wie
Jean Seberg auf dem Plakat von Bonjour
Tristesse oder
wie Anita Ekberg im Trevi-Brunnen. Mal hatte sie kurzes, mal
wallendes Haar, mal trug sie eine dunkle, mal eine blonde Perücke.
«Und
das?», fragte Haberstock. «Erkennen Sie das auch?»
Karin
Rosenherz war nackt. Sie saß auf einem Holzstuhl, der verkehrt herum
stand. Ihre Ellenbogen hatte sie auf die Lehne gestützt, die
geschlossenen Arme verdeckten den Busen. Ihr Kinn lag in den
locker geballten Fäusten.
«Ja»,
sagte Marthaler. «Es kommt mir bekannt vor.»
«Das
will ich meinen», sagte Haberstock. «Die Vorlage für diese
Aufnahme gehört zu den Ikonen der Popfotografie. Auf dem Original
sieht man ein Callgirl namens Christine Keeler.
Die
Dame hatte ein Verhältnis mit dem britischen Kriegsminister
John Profumo ...»
«Natürlich,
der Profumo-Skandal. Das war ...»
«Im
selben Jahr, als auch das Originalfoto entstand: 1963. Nach der
Veröffentlichung des Bildes wurden die beiden noch ein wenig
berühmter, als sie ohnehin schon waren.»
«Und
Karin Rosenherz wollte so fotografiert
werden?»
«Sie
bestand darauf. Und da sie nun schon einmal nackt war, habe ich sie
gebeten, ein paar Fotos von ihr machen zu dürfen, auf denen sie
nicht irgendeine Berühmtheit nachäfft. Sie hat sich gesträubt,
schließlich aber eingewilligt unter der Bedingung, dass ich alle
Abzüge vernichte, die ihr nicht gefallen.»
«Aber
Sie haben sich nicht daran gehalten?»
«Es
ist nicht mehr dazu gekommen. Sie hat all diese Fotos nie gesehen.
Bevor ich sie entwickelt hatte und ihr zeigen konnte, war Karin
bereits tot.»
Marthaler
setzte sich auf den Schreibtischstuhl und zog das Album näher zu
sich heran. Tatsächlich schienen die Aktfotos eine völlig andere
Person zu zeigen als jene Aufnahmen, die er gerade gesehen hatte.
Karin Rosenherz schien kleiner, dünner und blasser. Es kam Marthaler
vor, als sei sie auf diesen Fotos im doppelten Sinne nackt:
Unbekleidet und ohne den Schutz einer geliehenen Pose. Sebastian
Haberstock hatte immer dann auf den Auslöser gedrückt, wenn sie
eine unbeholfene Bewegung machte, wenn sie nicht lächelte. Auf einem
dieser Fotos stand sie vor einer Wand. Rechts und links ihres Kopfes
waren zwei gerahmte Bilder zu sehen. Ihr weißer Körper mit den
kleinen Brüsten wirkte wie ausgemergelt. Die knochigen Arme hingen
kraftlos an ihm herab. Sie sah unendlich traurig aus.
Haberstock
hatte recht. Seine Fotos zeigten es - Karin Rosenherz war beides
zugleich gewesen: kokett und schutzlos, eitel und ängstlich. Und
Marthaler war überzeugt, dass die Frau nicht gewusst hatte, wer sie
war. Sie wirkte wie zerrissen zwischen all den Posen, die sie
sich anzueignen versucht hatte.
Marthaler
schob das aufgeschlagene Album beiseite. Er legte seine kleine
Aktentasche auf den Schreibtisch. «Und jetzt möchte ich Ihnen etwas
zeigen.»
Er
breitete die Privatfotos aus, die Fausto Albanelli fast vierzig Jahre
in seinem Besitz gehabt hatte. Das Bild, das Karin Rosenherz zusammen
mit Philipp Lichtenberg zeigte, ließ er weg. Haberstock schaute sich
die Fotos an. Sein Interesse schien nicht groß zu sein. «Keine
besonders gelungenen Aufnahmen», sagte er.
«Darum
geht es nicht. Ich will nur, dass Sie mir sagen, ob Ihnen irgendetwas
auffällt.»
Haberstock
ging die Fotos ein zweites Mal durch. «Nein, nichts. Ich erkenne
Karin, aber die anderen Leute habe ich nie gesehen.»
Marthaler
griff noch einmal in die Aktentasche. «Ich muss Sie vorwarnen. Was
Sie
Weitere Kostenlose Bücher