Rosenrot ist mausetot - Kriminalroman
Nähe und sei ihm wohlbekannt. Ob sie etwas dagegen habe, wenn ich den freien Stuhl bekäme?
Hatte sie nicht, und das Pärchen am Tisch war ohnehin voll und ganz mit sich selbst beschäftigt. Der Wirt hatte uns genügend Anknüpfungspunkte für ein Gespräch gegeben, das immer angeregter und intensiver wurde. Nach etwa zwei Stunden gab sie mir höflich zu verstehen, dass sie jetzt wieder Rückzug und Ruhe brauche, und so zog ich meiner Wege. Seitdem hatte ich sie weder getroffen noch mit ihr kommuniziert. Meine erste Begegnung mit Rosenrot war auch meine letzte gewesen. Wenn man mal von meiner Auffindung ihrer Leiche absieht. Was man ja wohl kaum als Begegnung bezeichnen kann.
Karl bat mich, von philosophischen Abschweifungen Abstand zu nehmen und lieber zu erzählen, was ich über Frau Rosengarten wüsste. Und zu erklären, warum ich sie Rosenrot genannt hatte.
Ich tat ihm den Gefallen und begann mit einer Antwort auf seine erste Frage. Graziella Rosengarten war, oder, wie ich nun leider sagen müsse, war gewesen, eine weitherum bekannte und anerkannte Gartenarchitektin. Ihr Ruf, den sie mir ohne falsche Bescheidenheit schilderte, beruhte nicht nur auf der Gestaltung einiger als herausragend wahrgenommenen Gärten und Gartenlandschaften. Einer breiteren Öffentlichkeit war sie bekannt geworden, da sie nicht nur Gärten gestaltete, sondern über Gärten und das Gärtnern auch nachdachte und über ihre Erkenntnisse in einer leicht verständlichen und lockeren Sprache in Zeitungskolumnen und Gartenbüchern berichtete.
Beides durfte ich im persönlichen Gespräch geniessen, ihre bunten und vielfältigen Gedankengänge rund um das Thema Garten, ebenso wie ihre manchmal blumige, manchmal schnoddrige, niemals aber akademische Sprache. Wir redeten über die neue Popularität des Gärtnerns, ebenso wie über philosophische, soziologische, psychologische, ökonomische, kulturanthropologische und weiss der Kuckuck was für welche Bezüge zum Gartenbau.
Als sich selbst diese hochgradig spannenden Themen für einen Moment erschöpft hatten, bat ich sie, mir eine persönliche Frage zu beantworten. Ihr Deutsch und eine gewisse Schnoddrigkeit klängen für mich nach Berliner Wurzeln. Ob das zutreffe?
Sie bejahte und erzählte – die Atmosphäre zwischen uns war mittlerweile recht vertrauensvoll geworden – einige Details aus ihrem Leben. Sie entstammte einer alten jüdischen Gelehrtenfamilie aus Berlin, der es gelungen war, rechtzeitig vor den Nazis nach England zu fliehen. Graziella, die ihren Vornamen einer nie ausgelebten Schwärmerei ihres Vaters für eine feurige Südländerin verdankte, war dort aufgewachsen und hatte im Mutterland der Gartenbaukunst studiert, ehe sie für einige Jahre nach Berlin zurückzog, um dort Gärten zu gestalten und Studenten zu unterrichten.
Mit der Zeit war ihr das Leben in Berlin zu hektisch und zu anstrengend geworden. Auf der Suche nach einem etwas beschaulicheren Arbeits- und Lebensort war sie in Zürich gelandet, wo sie dank ihres Renommees bald einen Lehrauftrag an der Eidgenössischen Technischen Hochschule, der ETH , angeboten bekam.
Eigene Gärten wollte sie nach wie vor gestalten, doch nicht mehr in der Rolle der selbstständigen Unternehmerin. Deshalb hatte sie einen Kooperationsvertrag mit der Spross AG , einem der grössten Gartenbauunternehmen der Schweiz, geschlossen. Für Spross sollte sie einerseits besonders anspruchsvolle Gartengestaltungen übernehmen und andererseits ein Fortbildungskonzept für fortgeschrittene Gartengestalter entwickeln.
Ich hatte später im Internet die Medienmitteilung gefunden, in der die beiden Beteiligten ihre künftige Kooperation bekannt gaben. Der freudig-erwartungsvolle Ausdruck im Gesicht der beiden Frauen, die sich auf dem beigefügten Bild die Hand gaben, wirkte echt. Beide, Natalie Spross Döbeli, in der fünften Generation Chefin des Unternehmens, wie die Bildlegende verkündete, und Graziella Rosengarten, freuten sich offenkundig auf eine Zusammenarbeit, die beiden Seiten Gewinne versprach.
Graziella Rosengarten hatte mir in unserem Gespräch von diesen Potenzialen richtiggehend vorgeschwärmt. Für sie bedeutete diese Zusammenarbeit die Möglichkeit, ohne unternehmerisches Risiko das zu tun, was sie am liebsten tat: anspruchsvolle Gärten gestalten. Und zudem die Chance, ein anderes Herzensanliegen auf neuen Wegen zu verwirklichen: ihr Wissen an Jüngere weiterzugeben.
Umgekehrt erhoffe sich die Firma Spross, dass etwas von
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